JULIA SEELIGER BIOWARUM DEM SMARTPHONE ZU MISSTRAUEN IST UND WIE ES AUS DEM WALD LÄUTET
: Das digitale Ich kneten

JULIA SEELIGER

Ich gehe in den Wald, um mich zu verlieren, um mich zu finden. Zu Festivals. Letztes Wochenende war ich auch wieder auf einem. Am Rande von Berlin, alles perfekt. Abwechslungsreiches Wetter mit Optimum zum Schluss. Die Wolken, die Bäume, die Musik. Die Menschen sprachen in fremden Zungen und boten unbekannten Nachbarn ungefragt Wasser und Gespräche an.

Technofestivals und Blockaden, ob Castor oder G 8, haben eine Menge gemeinsam: Die Zeit geht anders im Wald. Echtzeit. Strukturlos. Stoisch erwartet man, was kommen wird, denn wann es kommt, ist nicht definiert. Essen gibt es an Ständen, und es schmeckt trotz seiner Einfachheit immer gut. Man ist in Bezugsgruppen unterwegs. Und meistens hat man kein Internet.

Für mich war das an diesem Wochenende keine Umstellung. Schon seit mittlerweile vier Wochen betreibe ich wieder mein Festival-Handy – ein altes Nokia 5140. Seit einiger Zeit schon vertraue ich meinem Smartphone nicht mehr. Es ist ein Google-Handy, Nexus One. Mein erster Tweet, den ich mit ihm versandte, lautete „Welcome to the Real World“.

Ich taufte es „Ecstasy“, in Anlehnung an „Heroin“, wie ein guter Freund seines immer nannte, nachdem ich auf taz.de den Artikel „Apple ist wie Heroin“ geschrieben hatte. Ich twitterte aus der Disco und vom Strand. Es war morgens als Erstes da, schon vor dem Aufstehen die ersten Tweets. Praktisch!

Das Ende kam mit Instagram. Diesem Dienst, bei dem man Fotos ins Internet hochlädt und von anderen kommentieren und liken lässt. Es gibt dort reflektierte Personen, die ihr Profil mit der Warnung „No food, no pets, no kids“ ausgestattet haben. Es gibt da aber auch viele, die da Essen-Fotos posten. Der private Bauch, jetzt auch sichtbar im Internet! Heureka. @von_bronkhorst twitterte wissend: „Eine Pizza bitte.“ „Zum Mitnehmen?“ „Nein, laden Sie sie gleich bei Instagram hoch.“

Und so sieht’s aus: Wir formen unsere Persönlichkeit im Digitalen nach. Unsere Likes formen nicht nur unsere Werbepersönlichkeit, sondern auch unser digitales Ich. Wir sehen dort wie im Spiegel, was Facebook meint, was wir denken. Und dieses Bild wird immer genauer, je mehr wir liken. Facebook ersetzt Sex, hieß es vor einiger Zeit einmal – die Likes sind kleine Kicks, Chatnachrichten Zuwendung und Aufmerksamkeit.

Das Ärgerliche ist: So ist es, und so ist es doch nicht. Autosuggestion wirkt, man gewöhnt sich an die kleinen Kicks und fühlt sich besser. Das Erschreckende ist, dass Facebook, Instagram und Co. wohl doch, konsequent zu Ende gedacht, in die Matrix führen. Der Like-Button klickt sich wie von selbst – direkt aus dem Kopf. Und formt die digitale Identität als Abbild der Offline-Person.

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei Montag Maik Söhler Darum Dienstag Deniz Yücel Besser Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Nun ist das Internet nicht überall gleich, und eine solche Erkenntnis muss nicht dazu führen, sich ganz aus dem Netz zurückzuziehen. Es gibt noch die gute alte E-Mail, es gibt Blogs. Man kann eigene Infrastrukturen haben und muss sich nicht der Herrschaft von Konzernen beugen.

Wähle deine Dienste sorgsam, läutet es aus dem digitalen Wald.