: Ohnegeht’snicht
Gott, war das ein beschissenes Jahr. Kein besonders überraschender Einstiegsgedanke für diese Weihnachtsausgabe, aber man kann das ruhig nochmal festhalten: Gott, war das ein beschissenes Jahr!
Wir mussten lernen, auf Nähe zu verzichten – entgegen unserem natürlichen Bedürfnis. 1,5 Meter Abstand, Kontaktverbot. Nicht die Hände geben! Nicht umarmen! Viele Menschen wurden krank, viele Menschen sind gestorben, viele Menschen arbeiteten am Anschlag. Viele zerstritten sich, weil zu viel Nähe manchmal schlimmer ist, als allein zu sein. Und diejenigen, die den Kontakt mit ihren Liebsten dringend nötig gehabt hätten, durften diese oft nicht treffen.
Besonders hart bekamen das ältere Menschen zu spüren, die in Pflegeheimen leben und oft monatelang nicht von ihren Angehörigen besucht werden konnten. Die Bilder auf dem Titel und auf dieser Seite wurden im August im Seniorenheim „Viva Bee“ in einem Vorort von São Paulo, Brasilien, aufgenommen. Dank eines Umhangs aus Plastik, des „Hug Curtain“, können Töchter und Söhne, Partnerinnen und Partner, Enkelinnen und Enkel ihre Angehörigen nach mehr als fünf Monaten wieder umarmen.
Ob es Zufall ist, dass sich durch eine Umarmung selbst Plastik zu einem Herzen formt? Wir glauben: nein. Deshalb wollen wir uns zum Abschluss dieses einsamen Jahres dem Gefühl widmen, ohne das alles noch viel schlechter auszuhalten gewesen wäre: der Liebe.
Auf den folgenden Seiten beschäftigen wir uns mit der Frage, ob man sich wirklich zuerst selbst lieben muss, bevor man von anderen geliebt werden kann. Ob der Kauf eines Musikinstrumentes dabei helfen kann, das Kind in sich wiederzufinden. Und was eigentlich mit all den Lebkuchenherzen passiert, die dieses Jahr nicht auf Weihnachtsmärkten verkauft werden konnten.
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieser Ausgabe und beim Fest der Liebe – mit so viel Abstand wie nötig und so viel Nähe wie möglich.
Fühlen auch Sie sich herzlich umarmt!
Paul Wrusch und Franziska Seyboldt
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