Der Kampf um volle Betten

Das evangelische Krankenhaus in Rheda kann verkleinert weiter bestehen. Doch in dem ostwestfälischen Ort ist ein Kleinkrieg um die Patienten entbrannt: Konfessionelle und städtische Häuser machen sich Konkurrenz

Obwohl die Betten leer sind, erscheinen alle Krankenschwestern pünktlich zum Dienst

Aus RHEDA-WIEDENBRÜCKRalf Götze

Die Autobahn zwischen den beiden ostwestfälischen Stadtteilen Rheda und Wiedenbrück gleicht einer Spiegelachse. Auf beiden Seiten leben 23.000 Einwohner. Beide haben eine separate Fußgängerzone, ihr eigenes Freibad und natürlich getrennte Krankenhäuser. Das Wiedenbrücker ist katholisch, das Rhederaner protestantisch – und pleite.

Ende Juni war das Krankenhaus von seiner Trägerstiftung bei laufendem Betrieb geschlossen worden, weil die Kassen von Juli an keine neuen Patienten mehr finanzieren wollten. 50 Patienten wurden darauf entlassen oder auf andere Kliniken verteilt, darunter auch frisch Operierte. Drei Wochen nach der beispiellosen Blitzräumung aus Kostengründen ist der Standort des Hospitals in Rheda nun voraussichtlich gesichert. Der Fachausschuss der Stadt Gütersloh stimmte der Fusion des Standorts Rheda mit dem Gütersloher Klinikum zu.

Doch nach der turbulenten Patienten-Evakuierung ist es totenstill um den Bau geworden. Im gleißenden Sonnenlicht sind selbst die Konturen des verblassenen Firmenschildes schwer auszumachen. Der bereits entlassene Gärtner gießt die Blumen. Sie verleihen dem beigen Klinkerbau zumindest einen Hauch von Farbe. „Egal ob das Haus offen oder geschlossen ist, die brauchen immer Wasser“, begründet Jürgen Becker seinen nun ehrenamtlichen Einsatz. Hausmeister Ron Schröter versucht sich bei jedem Handgriff nützlich zu machen, aber der arbeitslose Gärtner will sich nicht auch noch die unbezahlte Arbeit wegnehmen lassen.

In der Klinik herrscht Alltag. Obwohl kein Bett mehr belegt und selbst der typische Klinikgeruch nach drei Wochen schon verflogen ist, erscheinen die Krankenschwestern pünktlich. So als beginne ein Arbeitstag wie jeder andere. Der Weg führt direkt in den Gemeinschaftsraum. Es wird geplauscht, geflüstert, gelacht. Es ist ein guter Tag, denn die Rettung ihres Krankenhauses ist besiegelt. Jetzt ist der Standort zwar nur noch eine abgespeckte Zweigstelle der Städtischen Klinik, aber immerhin noch da. „Uns fällt ein Stein vom Herzen“, sagt Harald Geier, Leiter des Rhedaner Krankenhauses, „jetzt wird erst einmal geputzt und noch in dieser Woche kommen die ersten Patienten zurück.“

Mit dem Verlust der Eigenständigkeit findet aber auch gleichzeitig die Geschichte der protestantischen Kliniken im Kreis Gütersloh ein Ende. Bereits 2002 schloss das zweite evangelische Krankenhaus in Werther. Die einstige Balance zwischen städtischen, protestantischen und katholischen Häusern ist dadurch vollends aufgehoben. Nun tobt ein erbitterter Kampf zwischen den kommunalen und den katholischen Trägern um Einflussgebiete, als sei man in die Zeiten zurückversetzt, in denen zwischen den beiden Stadtteilen nicht nur eine Autobahn, sondern auch eine Staats- und Glaubensgrenze lag.

„Das war kein Akt der Menschlichkeit, sondern es ging uns um die Stärkung des Städtischen Klinikums“, macht der zuständige Gütersloher Stadtdezernent Klaus Wigginghaus kein Hehl aus den eigentlichen Motiven. Mit der Schließung Rhedas wäre der komplette südliche Teil des Kreises in katholische Hände gefallen. Die Krankenhäuser einer Kette überweisen ihre Patienten oft nur untereinander weiter. Wigginghaus kennt sich aus: Das Städtische Klinikum praktiziert das genauso mit kommunalen Häusern im nördlichen Kreisgebiet. „Das sind keine Wettbewerber, sondern Partner“.

Die Konkurrenz sitzt nur ein paar Straßenzüge entfernt. Das Gütersloher Krankenhaus St. Elisabeth hat zusammen mit dem Wiedenbrücker St. Vinzenz Hospital gegen die Kapazitätserweiterung des Städtischen Klinikums geklagt. Es geht um die 38 Betten von Rhedas Unfallchirurgie – der karge Rest von einst 111 Betten. „Wir wehren uns gegen eine stärkere städtische Klinik in der Chirurgie“, sagt Stephan Pantenburg, Leiter des St. Elisabeth Hospitals. Dabei ändert sich faktisch wenig. Die Unfallchirurgie verbleibt nach wie vor in der Betriebsstätte Rheda.

Kommen die katholischen Häuser mit ihrer Klage durch, ist das Ende für die Betriebsstätte Rheda und der verbliebenen 80 Arbeitsplätze besiegelt. Auf die Kassen oder die Politik schimpft Wigginghaus daher nach dem Kompromiss nicht mehr, für das Verhalten der Konkurrenz findet er aber immer noch scharfe Worte: „Die Klage ist bisher unbegründet, unhaltbar und in ihrer Konsequenz unverschämt.“

Auch in der Bevölkerung kochen die Emotionen über. Beim Anblick einer Kamera macht ein Fahrradfahrer vor dem noch geschlossenen Krankenhaus eine Vollbremsung, nimmt seine Sonnenbrille ab und brüllt: „Die Schweinepriester wollen den Laden doch nur platt machen, damit sie die ganze Ecke für sich alleine haben.“ Anwohnerin Andrea Schönknecht ist resigniert: „Ich war schockiert, als die alle Patienten abtransportieren mussten“, sagt sie. Aber verwundert sei sie nicht gewesen. „Die winden sich doch schon seit 1996“, erklärt die junge Mutter, die mit ihrem Sohn Luca den unkomplizierten Weg nach nebenan zu schätzen weiß, „dann machen sie die Klinik eben in zehn Jahren dicht“.

Ihre Prognose ist noch zu optimistisch. „Die nächsten drei Jahre ist die Betriebsstätte gesichert“, sagt Wigginghaus. Danach kommt wieder die Ungewissheit.