„Ein großer Vorteil des Alters: Ich muss nichts mehr müssen“

Peter G., Jahrgang 1942, ist Buddhist, lebt in Gemeinschaft und hat keine materiellen Sorgen

„Wenn ich überhaupt vor irgendetwas richtige Angst habe, dann vor einem geistigen Verfall“

Protokoll Plutonia Plarre

Peter G. wird 1942 in Stettin (heute Polen) geboren, zum Kriegsende flieht er mit der Mutter als Heimatvertriebener nach Süddeutschland. Er macht eine Ausbildung zum Chemotechniker. 1960, kurz vor Mauerbau, geht er nach Berlin, holt das Abitur nach und studiert unter anderem Indologie und Philosophie.

1963 wird Peter G. Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Während und nach der Studienzeit, die in die Zeit der Studentenbewegung fällt, betätigt er sich politisch.

Peter G. übt in seinem Leben viele Tätigkeiten aus, unter anderem als Handwerker, PC-Trainer und Unternehmensberater; seit 2007 ist er in Rente. Als Autor und Übersetzer widmet er sich buddhistischen Texten aus dem Pali und dem Sanskrit.

Ein Glück, dass ich das nicht mehr erleben muss – als ich jung war, habe ich diesen Satz von alten Menschen des Öfteren gehört. Ich sage das inzwischen auch manchmal, was die Zukunft und unsere Umweltkatastrophen betrifft. Nicht ständig, aber ich merke, dass ich mich in der Welt nicht mehr so zu Hause fühle.

Ich lebe sehr gerne! Aber Leben heißt nun mal, älter zu werden. Und es heißt natürlich auch, dass du dem Tod immer näher kommst. Auf Retreats habe ich mir das bewusst gemacht: Mit jedem Atemzug rücke ich dem Tod näher. Ich bin Buddhist und meditiere viel, aber ich glaube nicht an Wiedergeburt, ich gehe also davon aus, dass der Tod wirklich das Ende meiner Existenz ist.

Wenn du weitab von zu Hause diese Art von Meditation machst, schaltet es irgendwann in dir um. Plötzlich siehst du, wie großartig und zugleich auch schrecklich Leben ist. Du siehst Menschen, die sich offenbar lieben, aber auch welche, die streiten. Du siehst Kinder spielen, du siehst eine Art von Schönheit …

Und du siehst auch, wie Sterben und Tod ununterbrochen auch um dich herum stattfindet. Wenn du unterwegs bist, siehst du auf dem Weg überfahrene Regenwürmer oder tote Mäuse am Straßenrand. Oder – das fand ich besonders beeindruckend – da war ein Baum, es war im späten Herbst, ein Ast war abgerissen, hing aber noch mit ein paar Fasern am Stamm. Der Ast war das Einzige am ganzen Baum, was Knospen ausgetrieben hatte. Ich sah: Der Ast versucht vergeblich am Leben zu bleiben. Genau das tun wir ja auch, wir versuchen am Leben zu bleiben.

Der Tod rückt langsam näher. Du merkst es auch daran, dass immer mehr Menschen in deinem persönlichen Umfeld sterben, nicht nur ältere. Ein guter Freund, den ich vor 60 Jahren auf dem Bau kennengelernt habe, ist dieses Jahr gestorben. Ich war die letzte Zeit viel mit ihm zusammen. Er hatte seit fünf Jahren Krebs. Der Tod eines nahestehenden Menschen ist immer ein Verlust. Er reißt ein Loch ins Leben.

Zurzeit fühle ich mich noch ziemlich fit. Mir ist aber klar, dass das weniger werden wird. Wenn ich überhaupt vor irgendetwas richtige Angst habe, dann vor einem geistigen Verfall. Das könnte geschehen. Mir geht dazu durch den Kopf, was wahrscheinlich viele denken: Wenn es schlimm wird, bringe ich mich lieber um. Wie ich das genau machen könnte, habe ich ziemlich klar. Die Frage ist nur: Kriege ich rechtzeitig die Kurve?

Es gibt viele Beispiele von Menschen, die so ähnlich dachten, aber die Kurve nicht bekommen haben. Etwa weil sie dement geworden sind und vergessen haben, dass sie es wollten. Bei Walter Jens war das wohl so. Seine Geschichte hat mich sehr beeindruckt. Genau in diesen Zustand, in dem er dann war, wollte er nie kommen.

Ich lebe mit meiner Lebensgefährtin und einer sehr guten Freundin zusammen. Unsere Kinder wohnen in der Nähe, wir haben eine sehr gute Beziehung. Völlig allein zu leben, wie es ja viele tun, kann ich mir nicht vorstellen. Auch materielle Sorgen haben wir nicht. Das alles ist ein großes Privileg.

Mit dem Alter kommt natürlich auch der Rückblick auf das eigene Leben. Ich habe sehr viele unterschiedliche Dinge in meinem Leben ausprobiert. Unter anderem war ich – der Reihe nach – Chemotechniker, Abendschüler, Student, Handwerker, PC-Trainer, Unternehmensberater, immer links orientiert. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass der Kapitalismus eine Katastrophe ist, aber gleichzeitig erkenne ich auch, dass wir Menschen in der Mehrheit es wohl nicht anders wollen. „Kein Kommunismus ist eben auch keine Lösung.“

Mein Leben verläuft nicht besonders strukturiert. Ich gebe hier und da Nachhilfe, übersetze buddhistische Texte aus dem Pali und dem Sanskrit, ein bisschen aus dem Tibetischen. Ich möchte ein Buch, das ich schon mal veröffentlicht habe, überarbeiten und neu herausbringen. Ich möchte bereits erschienene Übersetzungen überarbeiten. Das Gleiche gilt für Texte, die noch nirgends erschienen sind. Ob mir dafür die Zeit noch bleibt, weiß ich natürlich nicht.

Manches am Alter ist ein bisschen anstrengend. Wir wohnen im fünften Stock. Ich komme noch sehr gut die Treppen hoch, aber vor zehn Jahren ging das noch besser. Auch dass ich schwerhörig bin, macht mir Probleme. Ich habe ein Hörgerät, aber wenn bei unserem Familienessen zehn Leute durcheinanderreden, komme ich nicht mehr mit. Die vielen Stimmen und der Nachhall machen mir zu schaffen. Ich fühle mich nicht ausgeschlossen, aber es ist schade. Andererseits nimmt mir keiner übel, wenn ich den Tisch verlasse und etwas anderes mache. Sich das erlauben zu können ist ein großer Vorteil des Alters: Ich muss nichts mehr müssen.