„Wenn die Zeit kommt, herzlich willkommen!“

Hassan Fayez, Jahrgang 1946, hat eine Fluchtgeschichte. Das Wichtigste für ihn sind die Familie und Freunde und seine ehrenamtliche Arbeit

Auf einen Tee mit Hassan Fayez im Nachbarschaftsladen in Schöneberg Foto: Doro Zinn

Protokoll Plutonia Plarre

Hassan Fayez wird 1946 in einem Dorf in Galiläa nahe der libanesischen Grenze geboren. Seine Eltern gehören zu rund 850.000 Palästinensern, die 1948 im Zuge des sogenannten israelischen Unabhängigkeitskrieges vertrieben werden. Die Palästinenser sprechen von Nakba – Katastrophe. In einem Flüchtlingslager im Nordlibanon wächst er auf. In Beirut verdingt er sich mit Jobs, flüchtet 1973 mit seiner Frau und zwei Kindern nach Berlin. Obwohl er einen Job auf dem Bau hat, wird er 1981 abgeschoben. Über den Flughafen Berlin-Schönefeld (DDR) reist er illegal wieder ein und kommt erneut in Abschiebehaft. Eine Aufenthaltserlaubnis ermöglicht es ihm, weiter auf dem Bau zu arbeiten. 1990 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Baufirma macht pleite, auch die Pizzeria, mit der er sich selbstständig machte, läuft nicht. Die letzten zehn Jahre seines Berufslebens verdingt er sich mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und 1-Euro-Jobs. Fayez lebt von Altersgrundsicherung.

Ich bin ein glücklicher Mensch, Gott sei Dank. Das Wichtigste in meinem Leben sind meine Frau und meine Familie und meine Freunde und Bekannten. Die meisten meiner Freunde sind alte Palästinenser – so wie ich. Wir treffen uns immer mittags im Nachbarschaftsladen in Schöneberg, trinken Tee oder Kaffee und quatschen. Der Jüngste ist 62, ich bin mit meinen 74 Jahren der Älteste. Solange wir unter uns sind, sprechen wir arabisch. Wenn jemand anderes dazukommt, sprechen wir deutsch, niemand soll sich ausgeschlossen fühlen.

Ich lebe von meiner Rente und Altersgrundsicherung. Wenn das Geld nicht reicht und ich eine neue Hose oder Schuhe brauche, springen meine Kinder ein. Alle leben in Berlin und sind mit Palästinensern verheiratet. Ich habe drei Töchter, zwei Söhne und 15 Enkel.

Mit meinen Kindern bin ich sehr zufrieden, Gott sei Dank. Alle haben Arbeit und können gut davon leben. Ich hoffe, dass sie niemals arbeitslos werden, damit sie, wenn sie alt sind, eine gute Rente haben und keine Sozialempfänger werden müssen. Dass viele alte Leute einsam sind, liegt wahrscheinlich daran, dass sie keine Familie haben und keine Cousinen und Cousins. Das ist nicht ihre Schuld. Wenn man als Einzelkind geboren wird, hat man keine Verwandten. Das ist traurig.

Mit meiner Frau lebe ich in einer Zweizimmerwohnung. Um 5 Uhr morgens stehe ich auf. Ich bin ein Frühaufsteher. Ich schleiche mich aus dem Haus, um meine Frau nicht zu wecken. Es zieht mich raus. Ab 7 Uhr bin ich immer im Nachbarschaftsladen in der Steinmetzstraße in Schöneberg. Ich räume auf, kümmere mich um die Pflanzen in den Rabatten, sammele den Müll auf der Straße auf. Über Nacht wird es hier immer ziemlich schmutzig. das mache ich alles ehrenamtlich.

Die Nachmittage verbringe ich meistens mit meiner Frau. Wir sitzen zusammen und bequatschen alles. Meine Frau fährt vormittags oft zu den Kindern. Eine meiner Töchter ist schwer krank. Abends passiert nicht mehr viel. Spätestens um 21 Uhr bin ich im Bett.

Früher habe ich auf dem Bau gearbeitet. Ich war Werkzeugverwalter, aber ich habe auch Schubkarre geschoben und Beton gegossen. Gott sei Dank hat mir das körperlich nicht geschadet. Ich habe keine Rückenschmerzen, alles gut!

Unter meinen deutschen Kollegen gab es welche, die sind ganz früh gestorben, kurz vor der Rente oder kurz danach. Mehrere … „Jens ist gestorben, Johnny, Frank“ – auf der Baustelle hast du das oft gehört. Das waren sehr gute Menschen. Ich habe immer lieber mit den Deutschen gearbeitet, weil – einer hilft dem anderen. Sie waren nicht krank, das ist es ja gerade. Im Gegenteil. Sie waren stabil wie eine Eiche. Sie hatten nichts mehr von ihrem Alter und ihrer Rente – leider. Das hat mir im Herzen wehgetan. Aber das kann man nicht ändern.

Kürzlich hatten wir bei uns im Nachbarschaftszentrum eine Trauerfeier, der Vater eines Freundes ist gestorben. Wir haben den Trauernden mit anderen Geschichten abgelenkt, damit er seinen Kopf frei bekommt. Natürlich redet man auch über das Sterben. Meine Eltern sind im Libanon gestorben. Mein Vater war Mitte 60, er hatte Krebs. Meine Mutter ist 95 geworden und meine Oma, die Mutter von meinem Vater, sogar 110.

Ich bin bei Tripoli im Libanon in einem Flüchtlingslager aufgewachsen. Meine Eltern wurden 1948 von den Israelis aus Galiläa vertrieben, da war ich zwei. Die ersten Jahre haben wir im Libanon in einem Zelt gelebt. Wir hatten es mit Lehm abgedichtet, damit das Wasser im Winter nicht reinläuft. Wie fast alle Palästinenser waren wir arm, aber wir konnten überleben.

„Wir alten Palästinenser treffen uns immer mittags, trinken Tee oder Kaffee und quatschen. Ich bin der Älteste“

Als Jugendlicher habe ich bei meiner Cousine in Beirut gelebt und in Cafés und Tankstellen gearbeitet. Meine Eltern haben meine Frau für mich ausgesucht. 1973 sind wir zusammen nach Berlin gegangen.

Ich glaube an Gott, an Allah, weil das Leben nicht von allein gekommen ist. Ich bete auch regelmäßig. Ich habe keine Angst vor dem Tod, um Gottes willen. Man wird geboren, wird erwachsen, und am Ende geht es unter die Erde. Das ist das normale Leben. Man darf darüber nicht traurig sein. Wenn die Zeit kommt, herzlich willkommen!

Niemand bleibt übrig, selbst die Propheten nicht. Noah ist 950 Jahre alt geworden, die anderen waren 100, 200 oder 300 Jahre alt. Aber am Ende sind sie alle gestorben.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Jungsein und Altsein. Als junger Mensch war ich voller Kraft. Jetzt sitze ich manchmal lieber rum. Aber ich laufe jeden Tag mindestens zwei Stunden, immer alleine. Manche alte Leute hocken den ganzen Tag zu Hause vor dem Fernseher, statt rauszugehen und sich zu bewegen. Ich erledige eigentlich fast alles zu Fuß. Laufen ist gut für den Körper. Ich denke dabei an nichts Besonderes. Nachdenken über Probleme macht das Herz kaputt. Probleme schiebe ich weit von mir weg. Da rein, da raus (zeigt auf seine Ohren).

Meine Frau ist meine Liebe und mein Leben. Sie hatte ein hartes Leben. Sie hat fünf Kinder groß gezogen und als Reinigungskraft gearbeitet. Weil sie immer viel zu viel gemacht hat, hat sie Bluthochdruck und Probleme mit ihrer Schulter. Ich habe Angst, dass ich den Verstand verliere, wenn sie vor mit stirbt.