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Aufs Schönste um den Schlaf gebracht

Beinahe ohne Bettlaken mit Augen: Die jüngste Ausgabe der jährlich von einem Künstlerinnen-Kollektiv zusammengestellten Comic-Anthologie „Spring“ hat Gespenster zum Thema

Wenn die Wut ausbricht: In Doris Freigofas’ „My Big 5“ suchen (unwillkommene) Emotionen in Tiergestalt die Menschen heim Foto: Abb.: Mairisch Verlag

Von Alexander Diehl

Kann man Geister zeichnen? Gespenster vielleicht? Zwingende Fragen sind das nur auf den ersten Blick: Warum sollte man nicht? Denn ikonografisch ist die Sache doch eigentlich klar – und ja: Ganz ohne Bettlaken-mit-ausgeschnittenen-Augenlöchern kommt auch die jüngste Ausgabe des im weiteren Sinne Hamburger Spring-Magazins nicht aus. Die hat „Gespenster“ zum Thema, und gestellt worden sind die erwähnten Fragen im Zusammenhang mit dem – Achtung! – Erscheinen des Hefts: in einem online veröffentlichten Gespräch mit Birgit Wehye, Marialuisa und Romy Blümel, drei von insgesamt 16 Illustratorinnen und Comickünstlerinnen, die in diesem Jahr mitgemacht haben.

Nicht nur bringt das gleich einen ganzen Strauß unterschiedlicher stilistischer Vorgehensweisen mit sich, unterschiedlicher Techniken, wofür diese jährliche Anthologie für Comic, Illustration und freie Zeichnung ja seit ihrer Nummer eins aus dem Jahr 2004 steht. Auch in anderem Sinne können Gespenster hier vieles sein: Im Vorwort erzählt die Hamburger Autorin Karen Köhler vom Karton, den sie sich, nachdem sie das erste Mal den Film „Ghostbusters“ sah, auf den Rücken schnallte. In diesen „Geisterfangkarton“ saugte sie fortan „alles Gespenstische, alles Geisterhafte, alles Böse aus der Welt“, und all diese Schrecknisse verschmolzen dann „zu einem einzigen vielköpfigen, vielgestaltigen Gespenst“. Das trägt Hitlerbärtchen und glaubt nicht an die Wissenschaft, „wählt die NPD und hat dabei ein Anne-Frank-T-Shirt an“. Es wird genauso aber auch „von mir seit Jahrhunderten ausgebeutet, unterjocht, in Armut gehalten, beraubt, begradigt, ausgehöhlt, gemolken“ – oder verlangt, die hoffnungsvolle Nachwuchsschauspielerin „soll doch bitte ein bisschen nett sein zu ihm, es mache hier schließlich auch die Besetzung“.

Gespenster können vieles sein, auch auf den dann folgenden Seiten. In „Etwas will gesehen werden“ bedient sich die Zeichnerin Marialuisa der erwähnten Bettlaken-Form, aber diese Geister sind „Energien“, „entstanden durch starke Emotionen“, verdrängt und „ins Dunkle geschoben“ – Variationen dieser Lesart begegnen wir im Heft noch öfter. So sind es auch bei Doris Freigofas fünf eher nicht so gern ausgestellte Emotionen – Rage, Mischief, Selfdoubt, Distrust und Anxiety –, was da plötzlich Gestalt annimmt; in ihrem Fall die von Tieren, auch mal wilden, immer aber solchen, die wir nicht erwarten würden an den Orten, wo wir sie in den Bildern antreffen: Die Giraffe sitzt am Familienesstisch, der Elefant manipuliert nach oben, was die Badezimmerwaage anzeigt. Das Krokodil im Hörsaal droht eine Vortragende zu verschlingen. Dass die garstigen Viecher schließlich gebändigt scheinen auf dem letzten Bild, zusammengeschnurrt zu Kuscheltieren einer Schlafenden: Auch das gibt ja psychologischen Common Sense wieder.

Bloß: Gerade dem wohltuenden, dem stärkenden Schlaf steht das Gespuke ja im Wege, nicht nur so ausdrücklich wie hier in Birgit Weyhes „Schlaflos“. Da bekommt die Protagonistin jenseitigen Besuch, auf der Durchreise von einem Gespensterkongress; er nimmt auch gern den angebotenen Tee – „Aber bitte nix mit Koffein“ – und doziert im Folgenden, ehrlich gesagt, ein wenig arg didaktisch über des Menschen Neigung, den falschen Heilsversprechen zu folgen und seine Emotionen, schon wieder: wegzudrängen.

Stephanie Wunderlichs „Schließt die Türen“ handelt erkennbar von der Pandemie, die dieses demnächst endende Jahr so sehr prägt: „Stellt alle anderen Probleme hinten an!“, wird da gefordert, „Fahrt erstmal auf Sicht“ oder „Fühlt euch verbunden mit allen Menschen auf der Erde“, ja: „Stellt fest, wie privilegiert ihr seid“. Hier spuken heutige Gebote, diese neuen oder auch mal gar nicht so neuen Tugenden.

Was schon bei bloß Geschriebenem stimmt (aber ja gern auch mal unterbelichtet bleibt in der kritischen Würdigung), stimmt umso mehr beim hier Versammelten: Diese Geschichten sind viel mehr als ihre mal mehr, mal weniger Plot zu nennende Handlung. Und am besten sind sie, wenn Bilder und Texte sich voneinander fort zu bewegen scheinen, auf dass ihre wechselseitige Abhängigkeit rasselt, wie so eine Kette von so einem Schlossgespenst.

„Spring #17 – Gespenster“:. Mairisch-Verlag 2020, dt./engl., 276 S., 24 Euro, Mehr unter: www.springmagazin.de

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