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: Im Zuge der Pandemie kann es zu Wartezeiten kommen

Mir fiel die Regel ein: Wohnort Marzahn, Termin Bürgeramt Spandau

Corona ist die Ausrede, auf die die Bürgerämter gewartet haben. „Im Zuge der Pandemie kann es zu längeren Wartezeiten kommen“, ertönt eine fröhliche Telefonstimme – und schon ist man wieder raus aus der Warteschleife. „Im Zuge der Pandemie kann es zu längeren Bearbeitungszeiten kommen“ – ich spüre das Freudestrahlen im Gesicht der Sachbearbeiterin durch die Antwortmail hindurch. „Aufgrund der Coronakrise ist eine Bearbeitung Ihres Anliegens bis auf Weiteres nicht möglich.“ Ein kollektives Jauchzen im Bürgeramt, kicherndes Personal, das sich auf die Schenkel klopft.

Ich vermisse die alten Zeiten, zu denen man sich noch guten Gewissens beschweren konnte. Darüber, dass man erst monatelang keinen Termin bekam und wenn doch, dann nur in Hellersdorf, und dies auch nur, wenn man in Zehlendorf wohnte, denn rief man aus Marzahn an, war der Termin verlässlich in Spandau. Vor Ort wartete man dann jedenfalls genauso lange wie ohne Termin. Und wenn man endlich dran war, wurde mindestens ein Dokument nicht akzeptiert. In der Regel war es die Geburtsurkunde, da gefiel ihnen oft der altmodische Stempel nicht, manchmal gab es aber auch an meinem Abiturzeugnis etwas auszusetzen.

Beschämt hatte ich anfänglich geglaubt, mich für meine Note in Biologie rechtfertigen zu müssen – „und Sie haben Medizin studiert, ja, nehmen die heutzutage jeden?“ – aber dann war es am Ende doch nur die Wahl meiner Leistungsfächer. „Latein? Was haben Sie denn für Eltern? Und dann nicht mal Mathe zum Ausgleich?“ Ungezählte Male diskutierte ich mit Mitarbeitern des Bürgeramts über die Sinnhaftigkeit des Erlernens von toten Sprachen. Hartnäckig versuchten sie mich umzustimmen und schienen dabei zu vergessen, dass die Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte und ich bereits volljährig war.

Irgendwann war ich es leid. Weshalb man überhaupt permanent sein Abiturzeugnis vorzeigen musste, wollte ich wissen, aber da schalteten sie auf stur, Vorschrift sei Vorschrift, und das Verschwenden ihrer Zeit koste übrigens 25 Euro, ich solle jetzt bitte gehen, ich könne ja wiederkommen. Und das musste ich auch, denn ich brauchte unbedingt einen neuen Personalausweis. So ging das Ganze von vorne los. Es gab Zeiten, da überlegte ich, der Praktikabilität halber nach Marzahn zu ziehen. Aber dann fiel mir die Regel wieder ein: Wohnort Marzahn, Termin Bürgeramt Spandau. Und da blieb ich dann doch lieber in Luckenwalde.

Nun aber heißt es: rien ne va plus, ohne dass jemand schuld ist. Corona, Corona, Corona – die Ämter waschen ihre Hände in Unschuld, und ich gebe zu, der Abschied von meinen alten Feindbildern fällt mir schwer. Zu allem Überfluss ist jetzt auch noch der BER fertig, und das sogar vor meinem Personalausweis! Es ist nicht zu fassen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass das alles nicht mit rechten Dingen zugeht. Am Ende haben die Leugner recht, und Corona ist eine Erfindung der Bürgerämter, eine Weltverschwörung des öffentlichen Dienstes im großen Stil.

Nur wo sind dann die ganzen Angestellten hin? In einer Dauermittagspause, genannt Homeoffice? Verkleidet als Soldaten im Gesundheitsamt? Vor allem Letzteres scheint mir sehr gut möglich – doch wo sind dann die Soldaten? Heimlich mit den Amerikanern zurück in die USA? Ach was, jetzt weiß ich: Die bestücken den BER mit größeren Mülleimern. Irgendwas ist ja dann doch immer. Eva Mirasol