Ideologische Grabenkämpfe

betr.: „Bildung – Bayerns ungerechter Erfolg“, Kommentar von Christian Füller, taz vom 15. 7. 05

Wenig überzeugend: Zunächst ist festzuhalten, dass Pisa nicht nur Gymnasiasten testet und daher letztlich dokumentiert, dass (extrapoliert) ein bayerischer Hauptschulabschluss annähernd dieselben Fähigkeiten und Kenntnisse attestiert wie ein bremisches oder niedersächsisches Abiturzeugnis. Entscheidend ist eben – entgegen verbreiteter GEW-Logik – nicht die formale Berechtigung („Abitur für alle“), sondern der materielle Leistungsstand. Dies dürfte auch potenziellen Arbeitgebern bekannt sein.

Zudem eröffnet der bayerische Hauptschulabschluss den wirklich Begabten und Fleißigen in Verbindung mit Berufsausbildung und Berufsoberschule ebenfalls den Weg zum Studium (das im Übrigen kein Wert an sich ist; insoweit pflegt Ihr Autor wohl unausgesprochen lediglich das verbreitete Vorurteil der Intellektuellen gegen nützliche Arbeit, wonach der gelegentlich als Taxifahrer tätige arbeitslose Soziologe oder Germanist etwas „Besseres“ sei als der erfolgreiche Installateurmeister). KAI SCHAFFELHUBER, Deggendorf

Na ja, da ist er wieder, der luxuslinksintellektuelle Reflex: Nur ein akademischer Abschluss erlaubt das Ergreifen eines Jobs mit Sozialprestige, das Handwerk und gewerblich-technische Berufe, das ist was für Underdogs. Ich habe es satt, dass ich als Ausbilder im Fleischerhandwerk aufgrund dieser Sozialressentiments meine Ansprüche an angehende Auszubildende soweit herunterschrauben muss, dass allen Ernstes für mein Gewerk ein Pseudo-Abschluss eingeführt wurde, der das „Beherrschen der Hygienearbeiten“ bescheinigt.

ALEXANDER KROPP, Mömbris

Ihre Behauptung, Arbeiterkinder hätten trotz gleicher schulischer Leistung schlechtere Chancen als Akademikerkinder, ist schlichtweg falsch. Die veröffentlichten Zahlen des Pisa-Vergleichs sagen lediglich, dass es sechs Mal so viele Abiturienten bei Akademikerkindern gibt als bei Kindern aus Arbeiterfamilien. Zurückzuführen ist das auf keinen Fall auf eine Chancenungleichheit oder gar Diskriminierung von Arbeiterkindern, sondern, wie ich es des Öfteren bei Klassenkameraden erfahren habe, auf den oft nicht ausreichenden Rückhalt und Willen der Eltern, dass ihr Kind trotz seiner guten Leistungen das Abitur schreibt. Viele Arbeiterkinder besuchen die Hauptschule wegen deren eher praxisbezogenen Fächer, um möglicherweise den Betrieb des Vaters zu übernehmen, statt das Gymnasium zu besuchen, das sehr stark auf eine Akademikerlaufbahn vorbereitet.

Wie Sie auch nebenbei erwähnen, sind die bayerischen Hauptschüler im innerdeutschen Vergleich ebenfalls die besten, was in meinen Augen nicht gerade davon zeugt, dass Hauptschüler gegenüber Gymnasiasten benachteiligt werden und nicht individuell genug gefördert werden. Bei Ihrem Artikel entsteht der Eindruck, dass es überhaupt ungerecht ist, Arbeiter zu sein, und das eigentlich gerechte Ziel eine 100-prozentige Abiturientenquote wäre.

Auch das oft polarisierte Thema, Migrantenkinder hätten weniger Chancen, Hochschulreife zu erlangen, ist absolut übertrieben. Es besteht in bayerischen Gymnasien die Möglichkeit, dass Kinder türkischer Migranten in rein türkische Klassen kommen. Der Unterricht wird von speziell gebildeten Pädagogen erteilt, um möglicherweise vorhandene Sprachdefizite abzubauen, bevor sie dann ab der 7. Klasse mit den anderen Gymnasiasten zusammengeführt werden.

BENJAMIN LANG, 15 Jahre, Augsburg

betr.: „Deudschlant nicht mer Gans so dum“, taz vom 15. 7. 05

Der Grüne Punkt und das deutsche Bildungswesen haben eines gemeinsam: Beide sortieren aus um ihrer selbst willen. Eine Politik, bei der viele wichtige Rohstoffe auf der Strecke bleiben. Das zentrale Problem im Bildungssektor bleibt die Strukturgebung. Kein Land Europas vertraut auf ein so altes Schulsystem wie Deutschland. Maximen, die ihren direkten Ursprung im 19. Jahrhundert haben. Sie haben sich nicht minder überlebt als die Bismarck’schen Sozialreformen und das preußische Dreiklassenwahlrecht!

RASMUS PH. HELT, Hamburg

betr.: „Was Bayern lehrt“ von Reinhard Kahl, taz vom 16. 7. 05

Seit einigen Tagen verfolge ich mit einer gewissen Schadenfreude die intellektuellen Verrenkungen der Gesamtschulbefürworter angesichts der Ergebnisse der letzten Pisa-Studie. So mutiert das Schulwesen in Bayern in dem Kommentar von Reinhard Kahl fast zum Einheitsschulsystem. Andere, wie Klaus Klemm, fordern auf einmal, die besonders günstige Ausgangslage Bayerns zu berücksichtigen, um so das dortige gute Ergebnis zu relativieren.

Und das fordern die gleichen Leute, die jahrlang Finnland als Vorbild für Deutschland gepriesen haben und dabei die besonders günstige Ausgangslage dieses Landes (zum Beispiel in Bezug auf nicht vorhandene Migrantenkinder) schlichtweg unterschlagen haben. Hätten sie diese finnischen Rahmenbedingungen schon bei der ersten Pisa-Studie berücksichtigt, hätten sie Bayern schon damals zur Weltspitze zählen müssen, und Schweden wäre auf einen Platz hinter Nordrhein-Westfalen zurück gefallen. Dies ist kein Plädoyer für das gegliederte Schulsystem, sondern ein Plädoyer für die Erkenntnis, dass die ideologischen Grabenkämpfe um gegliederte und ungegliederte Systeme von den entscheidenden Fragen ablenken: Qualität des Unterrichts, Frühförderung, Unterrichtsausfall usw. Vielleicht trägt das neueste Pisa-Ergebnis endlich dazu bei, dass die Bildungsideologen bei SPD und Grünen zu einer Politik der konkreten Verbesserungen der Rahmenbedingungen in den deutschen Schulen übergehen, anstatt weiterhin auf einem Feld zu fechten, auf dem es nichts zu gewinnen gibt. BIRGIT PELTZER, Kerpen-Horrem

betr.: „Sachsen-Anhalt, das Pisa-Mysterium“, taz vom 16. 7. 05

Das Pisa-Mysterium von Sachsen-Anhalt ist schnell enträtselt: deutlich kleinere Klassen und weniger einzugliedernde Migranten als in Baden-Württemberg schaffen bessere Resultate. Zur Erinnerung: Dr. Schavan hat in Baden-Württemberg den „Klassenteiler“ (ab 33 Schüler muss eine Klasse geteilt werden) abgeschafft. Nun gibt es in den Gymnasien zuhauf Klassengrößen wie in der Nachkriegszeit.

BERT STEINBORN, Walzbachtal

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