GAZA: DER PROZESS DER RÄUMUNG WIRD NICHT FRIEDLICH VERLAUFEN
: Wenn die Thora über der Verfassung steht

Ein weiteres Kapitel im Kampf der extremistischen Siedlerfreunde gegen den Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen geht zu Ende. Dabei ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vorerst aber sorgte wohl das gewaltige Sicherheitsaufgebot dafür, dass die Demonstranten klein beigaben. Sie bekamen Angst vor der eigenen Courage, hatten sie doch zunächst angekündigt, sich den Weg an den Soldaten vorbei in die militärische Sperrzone Gusch Katif zu bahnen. Nun machten die meisten schon einige Kilometer vor dem Gaza-Streifen einen Bogen und zogen friedlich von dannen. Polizei und Armee taten gut daran, mit der von ihr verhängten höchsten Alarmstufe ein Signal zu setzen: dass Demokratie und Rechtsstaat mit allen Mitteln zu schützen sind. Deswegen bleibt das Betreten des Gaza-Streifens verboten und das Verbot wird durchgesetzt.

Die Camper in der Zeltstadt Kfar Maimon sprechen dennoch weiterhin von einer Regierungswende, nicht unbedingt per Neuwahlen, sondern sie halten auch einen zivilen Aufstand für vorstellbar – und wünschenswert. Die Gruppe ist auffallend homogen: religiös, national, überwiegend jung und hoch motiviert. Für alle gilt, dass die Thora schwerer wiegt als die Verfassung; das Wort des Rabbiners sticht das des Richters. Nur auf den ersten Blick handelt es sich hier um friedliche Gesetzesbrecher, die sich über ein polizeiliches Verbot hinwegsetzen wollen und gleichzeitig betonen, dass sie nicht gewalttätig werden. Doch ihr Zorn über die Regierung und ihren Abzugsplan, dem sie jede Legitimität aberkennen, kann sie zu gefährlichen Aktionen treiben.

Die Sicherheitskräfte werden Mitte August noch wesentlich mehr zu tun haben als jetzt. Polizei und Armee werden dann nicht nur gegen die Demonstranten gebraucht, sondern auch in der Siedlung Gusch Katif, um entweder den Siedlern beim Tragen ihrer Koffer zu helfen oder sie vielleicht selbst aus ihrem Haus zu holen. Eine Armee allerdings, die gezwungen ist, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen, geht kompromissloser gegen ihre Feinde vor. Zu glauben, dass es in vier Wochen zwischen den Demonstranten und Sicherheitsleuten so friedlich bleiben wird wie bisher, ist eine Illusion. SUSANNE KNAUL