Eine Ernennung für die Nachwelt

Mit der Nominierung des Richters John Roberts für den Obersten Gerichtshof der USA versucht Präsident George W. Bush, eine Schlammschlacht mit der Opposition im Kongress zu vermeiden und seine konservative Basis trotzdem zufrieden zu stellen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

US-Präsident George W. Bush hat am Dienstagabend mit der Vorstellung seines Kandidaten zum neuen Verfassungsrichter, dem bisherigen Berufungsrichter John Roberts, ein politisches Lehrstück gegeben, warum er und nicht John Kerry im Weißen Haus residiert. Diszipliniert und mit strategischer Weitsicht arbeitete seine republikanische Machtmaschine, demonstrierte einmal mehr, dass sie Geheimnisse hüten kann, wenn sie will. und Informationen nur preisgibt, um politische Gegner zu schädigen wie im Fall des derzeit brodelnden Skandals um eine enttarnte CIA-Agentin.

Erst kurz vor dem TV-Auftritt zur besten Sendezeit sickerte seine Entscheidung durch. Damit verdrängte er jene unrühmliche Affäre aus den Schlagzeilen, in die sein wichtigster Berater, Karl Rove, verwickelt ist. Tagelang werden Presse und Opposition nun über seinen Wunschkandidaten und die Konsequenzen für das Land debattieren.

Viel wichtiger jedoch ist, dass es ihm gelungen ist, einen Richter zu berufen, der aller Voraussicht nach ohne zerfleischende Anhörungen im Kongress bestätigt wird, einen, der Bushs konservative Wählerbasis erfreut und dennoch moderate US-Amerikaner nicht vor den Kopf stößt. Bush hielt sein Versprechen, einen soliden Konservativen zu nominieren, wählte jedoch keinen Radikalen.

Der Oberste Gerichtshof befindet über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Anordnungen der Exekutive. Seine Urteile haben meist auf Jahrzehnte Bestand und prägen die US-Gesellschaft nachhaltig.

Die Berufung von Roberts, der Nachfolger der ausscheidenden Richterin Sandra O'Connor werden soll, war die erste Neubesetzung für das hohe Gericht seit elf Jahren. Bush schien sichtlich zufrieden vor den Kameras, genoss den Moment, eine der folgenreichsten Entscheidungen seiner Amtszeit getroffen zu haben: Der vergleichsweise junge Roberts ist auf Lebenszeit ernannt, könnte also zwanzig Jahre oder länger dienen und so Bushs Vermächtnis weit in die Zukunft tragen.

Diese Aussicht, konservative Ideen langfristig zu zementieren, lässt vor allem die christliche Rechte frohlocken. Für sie eröffnet sich die ersehnte Hoffnung, liberale Grundsatzurteile rückgängig zu machen, wie zum Beispiel das 1973 beschlossene Abtreibungsrecht, ein Meilenstein der US-Rechtssprechung. Kein Wunder, dass liberale Interessengruppen Gewehr bei Fuß stehen, um Roberts mittels millionenschwerer Medienkampagnen zu verhindern. Manche nannten seine Wahl „extrem enttäuschend“, andere sprachen von einer „Verfassungskatastrophe“. Doch insgesamt herrscht unter den Liberalen der Eindruck vor, dass es hätte schlimmer kommen können.

Denn tatsächlich wird der Kandidat über die Parteigrenzen hinweg geschätzt. Seine persönliche Philosophie ist weithin unbekannt, und auch wenn man davon ausgehen kann, dass das Weiße Haus sich seiner Auffassungen versichert hat, gilt er nicht als Ideologe. Roberts arbeitet erst seit zwei Jahren als Berufungsrichter. Zuvor als Anwalt war er meist im Auftrag der Regierung tätig und argumentierte daher im Sinne seiner Klienten.

Die Opposition im Kongress reagierte daher zunächst vorsichtig und abwartend. Harsche Reaktionen waren nicht zu vernehmen. Patrick Leahy, führender Demokrat im Justizausschuss des Senats, gab sich versöhnlich. Sein Kollege Charles Schumer lobte Roberts’ Charakter und Fähigkeiten.

Die Anhörungen im Senat werden nicht vor September beginnen. In ihnen wird viel davon abhängen, wie sehr Roberts in Sachen künftig anstehender Gerichtsentscheidungen festgenagelt werden kann. Doch Experten erwarten hierbei wenig Aufschluss. Eine Blöße wird er sich kaum geben. Kommentatoren glauben, dass nur vom linken Flügel der Demokraten heftiger Widerstand zu erwarten sei. Der moderate Arm dürfte ihn schließlich absegnen, zu „entwaffnend“ sei seine Wahl, schreibt die New York Times.

Für alle Seiten bleibt dennoch offen, ob sich Roberts tatsächlich als verlässlicher Konservativer entpuppt oder als jemand, der wie so mancher seiner Vorgänger unabhängig agiert und die Republikanerbasis enttäuscht. Gewissheit wird man nicht so rasch haben. Heiße Themen wie Abtreibung oder Schwulenehe stehen vorerst nicht auf der Agenda des Obersten Gerichts. Doch das republikanische Projekt, den Obersten Gerichtshof nach rechts zu manövrieren, ist ein langfristiges. Gut möglich, dass Bush sein Ziel erreicht, ganz ohne politische Schlammschlacht.