Mehr als ein symbolischer Akt

TEILHABE Volkshochschule und Martinsclub haben eine Vereinbarung zur Inklusion unterzeichnet. Damit betreten sie Neuland, denn in der Erwachsenenbildung gibt es hierzu kaum Erfahrungswerte

Der Martinsclub ist einer der größten deutschen Bildungsträger für Menschen mit Behinderungen.

■ Rund 100 KursleiterInnen bieten jährlich knapp 2.000 Veranstaltungen an, zum Beispiel Alphabetisierungs- und Computerkurse, Englisch-, Koch-, Qi-Gong- oder Tanzkurse.

■ Ambulante Hilfen und Assistenzen, häusliche Pflege und Arbeit mit Angehörigen sind weitere Angebote des Vereins.

■ Im Wohnstättenverbund des Vereins leben 60 Menschen mit Behinderungen in zwei Häusern und einer Außenwohngruppe.

Die Bremer Volkshochschule (VHS) und der Martinsclub haben gestern eine Zielvereinbarung unterzeichnet. Beide Bildungsträger wollen zukünftig ihre jeweiligen Angebote und Kompetenzen austauschen, mit dem Ziel der Inklusion im Bereich der Erwachsenenbildung – also der Idee folgend, dass sich behinderte und nicht-behinderte Menschen gleichermaßen aufeinander einstellen sollen, um Teil einer vielfältigen Gesellschaft zu sein.

„In der Erwachsenenbildung gibt es kaum Erfahrungswerte mit Inklusion, deshalb müssen wir ein wenig laborieren“, sagt Sabina Schoefer, Direktorin der VHS. Anders als Kinder hätten Erwachsene eigene Bilder von Inklusion im Kopf, „und die müssen durch Experimentierräume abgeglichen werden“. Die Kooperation mit dem Bremer Martinsclub, einem der größten Bildungsträger für behinderte Menschen in Deutschland, biete sich da an. So könnten zukünftig beispielsweise Zweierteams aus VHS- und Martinsclub-DozentInnen gemeinsam behinderte und nichtbehinderte KursteilnehmerInnen unterrichten.

Dass Menschen mit Behinderungen an VHS-Kursen teilnehmen, ist indes nichts Neues: „Wir sind schließlich barrierefrei“, sagt Schoefer. „Aber die Zielvereinbarung ist ja kein symbolischer Akt: Wir möchten, dass eine solche Teilnahme zum System und zu etwas Selbstverständlichem wird.“

Umgekehrt sieht’s da bislang noch anders aus: „Natürlich nehmen wenig Nicht-Behinderte an unseren Bildungsangeboten teil“, sagt Thomas Bretschneider, Geschäftsführer des Martinsclub, den er „VHS für Menschen mit Behinderungen“ nennt. „Aber wir hoffen, dass sich das durch die Kooperation ändern wird.“

Damit die Lehrkräfte beider Bildungsträger ein gemeinsames Level finden, sind Fortbildungen geplant. „Wir könnten uns im Sinne der Inklusion auch dabei durchaus die Mitwirkung behinderter Menschen vorstellen“, sagt Bretschneider.

Über die Kosten der Zusammenarbeit machen sich die Institutionen vorerst keine Gedanken: „Erst einmal geht es uns darum, die bereits vorhandenen Kräfte zu bündeln“, sagt Schoefer. Einzige Ausnahme: Das „Stadtlabor Süd“. Unter diesem Titel plant die Volkshochschule Bremen-Süd in Zusammenarbeit mit dem Martinsclub ein langfristig angelegtes, generationenübergreifendes und inklusives Werk- und Kunstprojekt in Kattenturm. Dafür hat sie Gelder bei der „Aktion Mensch“ beantragt.

Darüber hinaus, sagt Schoefer, müsse man erst einmal Schritt für Schritt anfangen: „Wir wollen uns nicht in eine Finanzierungs- oder Struktur-Debatte begeben, wie sie in Schulen vielfach geführt wird. Uns geht es schließlich nicht darum, dass alle Menschen gleich schlau aus einem Sprach- oder Alphabetisierungskurs herausgehen, sondern darum, dass sich die Gleichwertigkeit der Menschen in den Köpfen verankert.“

Und weil das für Bremen nicht nur beim gemeinsamen Schulunterricht wichtig ist, hat auch Bürgermeister und Kultursenator Jens Böhrnsen (SPD) die Vereinbarung mitunterzeichnet. „Wir wollen eine inklusive Stadt werden“, sagt Böhrnsen.  SCHN