Lost in Taipeh

KISSKISS In seinem Erstlingsfilm „Miss Kicki“ begibt sich Håkon Liu auf Streifzüge durch die taiwanesische Hauptstadt. Dabei versucht er, im Rahmen einer Mutter-Sohn-Geschichte, den poetischen asiatischen Film mit nordeuropäischem Realismus zu verbinden

VON ECKHARD HASCHEN

So eine Annäherung kann ja eigentlich auch nicht gelingen: Zwölf Jahre lang hat Kicki in den USA gelebt, während ihr inzwischen 17-jähriger Sohn Viktor bei seiner Großmutter - ihrer Mutter - in Schweden aufwuchs. Nun sollen all die verlorenen Jahre mit Viktor bei einer gemeinsamen einer Reise ausgerechnet nach Taiwan in nur einem Monat nachgeholt werden.

Aber für die Endvierzigerin, die schon mal ein Glas zuviel trinkt, ist dieser Plan in Wahrheit nur ein Vorwand, um sich endlich mit ihrer Internetbekanntschaft, Mr. Chang, zu treffen, mit dem wir sie gleich zu Beginn angeregt chatten sehen: „Kiss Kiss, Cin Cin, Bye Bye?“

Als Kicki nach langem Zögern endlich bei dem Geschäftsmann, der sich zudem als stolzer Familienvater entpuppt, vor der Tür steht, gibt es nicht viel mehr als ein paar förmliche Worte. Wenigstens einen Hauch von menschlicher Nähe vermag Kicki stattdessen mit dem Hotelboy aufzubauen, mit dem sie vor dem Zubettgehen meistens noch etwas trinkt und dabei ein wenig mit ihm flirtet. Ansonsten bleibt ihr die neue Umgebung eher fremd. So unentschlossen wie seine Heldin die meiste Zeit über agiert, mag einem auf den ersten Blick auch der Film vorkommen. Aber Liu, der als Kind einer norwegischen Mutter und eines chinesischen Vaters in Taiwan aufwuchs, weiß schon in seinem Debüt recht genau, was er will. Nur dass er wie jeder gute Erzähler nicht alle seine Karten sofort auf den Tisch legt. So, wie seine Figuren ihre Absichten entweder nicht sofort offenbaren oder überhaupt erst herausfinden müssen, was sie eigentlich wollen, ist auch Lius Blick auf das Geschehen ein vorsichtig tastender.

Einen amerikanischen Kritiker hat dieses indirekte Erzählen und der mäandernde Blick auf eine Stadt, in der sich die Figuren erst zurechtzufinden müssen, an die frühen Filme von Wim Wenders erinnert. Liu selbst sagt, dass ihm daran gelegen war, seine beiden Lieblingsfilmstile, den poetischen asiatischen Film und den schwedischen Realismus miteinander zu kombinieren.

Sehr schön zum Tragen kommt Lius Prinzip, die Szenen sich langsam entfalten zu lassen, bei der den zweiten Erzählstrang des Films bildenden Begegnung und der daran anschließenden Annäherung zwischen Vikor und dem etwa gleichaltrigen Didi. Da läuft Viktor eigentlich gar nicht so verwirrt durch die Straßen von Taipeh, doch merkt Didi, der sich gerade zufällig in der Gegend aufhält, sofort, dass er ein wenig Hilfe gebrauchen könnte. Nicht dass Viktor diese sofort annimmt, aber dann fasst er doch recht schnell Vertrauen und spätestens bei einer gemeinsamen Spritztour ein einem gestohlenen Moped wird klar, dass sich zwischen den Beiden womöglich noch ein wenig mehr als Freundschaft entwickeln wird. Schön, wie Liu all das ganz und gar unaufdringlich ins Bild setzt.

Bei Filmen mit europäischen und asiatischen Schauspielern ist die Gefahr nicht gering, dass das Ganze am Ende in der Mitte auseinander bricht. Aber dem begegnet Håkon Liu, der spürbar in beiden Kulturen zu Hause ist, in dem er Unvereinbarkeiten als solche gar nicht erst zu überdecken versucht und entstehende Verbindungen mit einem sensiblen Blick registriert. So können die Bergman-Schauspielerin Pernilla August und der aus vielen Hongkong-Filmen bekannte Eric Tsang via Bildschirm miteinander flirten - und dann nur noch blankes Entsetzen für den anderen übrig zu haben. Und so können Ludwig Palmell und He Huang eine ganz und gar selbstverständliche Zuneigung füreinander entwickeln.