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Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Nach einer erneuten Niederlage muss der HSV damit umgehen, dass der Absturz herbeigeschrieben wird. Dabei hat das siegreiche Hannover 96 grundlegendere Sorgen

Das Runde will nicht ins Eckige: Hamburgs Aaron Hunt ärgert sich über eine vertane Chance Foto: Axel Heimken

Von Christian Otto

Nach diesem Spiel, das alles andere als mitreißend war, war von einer schwierigen Leistungsentwicklung die Rede. Von einer kniffligen Phase. Sogar von einem beispiellosen Absturz. Und von einem Negativstrudel. Viele Umschreibungen, die dem Hamburger SV und Hannover 96 eine Krise nachsagen, die die sportlichen Ziele beider Vereine gefährden. Dass Hannover am Samstag durch ein Tor von Hendrik Weydandt mit 1:0 in Hamburg gewann, war glücklich. Der Sieger jubelte nach einer schwachen Leistung eher kleinlaut. Der Verlierer stand ratlos da. Es war eine Begegnung, in der nicht zu erkennen war, dass eine der Mannschaften für den Aufstieg in die Erste Fußball-Bundesliga infrage kommt.

Die hohen Ansprüche in Hamburg sorgen dafür, dass selbst kleinere Rückschläge für großen Wirbel sorgen. Der HSV gehört in der Tabelle weiter zu den besten Teams der Liga. „Wir befinden uns nicht in einer unruhigen Phase des Absturzes. Ich kann das sachlich einsortieren“, sagte Cheftrainer Daniel Thioune. Ihn ärgern die Nachfragen und Deutungen zu einer Saisonphase, die als schwierig zu bezeichnen ist und die tatsächlich das Große und Ganze gefährden kann.

Gegen Hannover spielte der HSV erst umständlich und dann 70 Minuten lang in Unterzahl, weil Sonny Kittel wegen wiederholten Foulspiels die Gelb-Rote-Karte gesehen hatte. Dass der Gastgeber danach trotzdem die bessere Mannschaft war und mehrere Male am starken 96-Torhüter Michael Esser scheiterte, wird an der unruhigen Zeit in Hamburg nichts ändern. In der Tabelle hinter Holstein Kiel, Greuther Fürth und dem VfL Bochum zu stehen, tut weh. Und es macht die Medien erfinderischer, wenn es darum geht, eine Krise in Worte zu kleiden.

Eigentlich hat es der Hamburger SV noch ganz gut. Was ihn aktuell plagt, nennt man im Fußball-Deutsch eine Ergebniskrise. Gemeint ist damit, dass in der Tabelle Punkte fehlen, aber das eigentliche Saisonziel noch nicht aus den Augen verloren wurde.

Bei Hannover 96 geht es da schon um grundlegendere Sorgen. Obwohl in Hamburg der erste Auswärtssieg in dieser Saison gelungen ist, war den Hauptdarstellern kaum zum Jubeln zumute. „Wir hatten sehr gute Momente. Aber in der zweiten Halbzeit haben wir wirklich kein gutes Spiel gemacht“, erklärte 96-Cheftrainer Kenan Kocak. Er benutzte sogar das Wort „schlampig“, als es während der obligatorischen Pressekonferenz darum ging, was seine Mannschaft beim Passen und Kombinieren falsch gemacht hatte. „Darüber“, sagte Kocak, „werden wir uns mit Sicherheit noch einmal unterhalten.“

„Wir befinden uns nicht in einer unruhigen Phase des Absturzes“

Daniel Thioune, HSV-Trainer

Die Unruhe, die sich in Hannover und Hamburg beobachten lässt, wird von den jeweiligen Medien befeuert. Aber sie haben vor allem hausgemachte Gründe. Der Hamburger SV hat den Anspruch, möglichst schnell wieder in die Erste Liga zurückzukehren. Gleiches gilt für Hannover 96 und den dort alles entscheidenden Martin Kind.

„So steigen wir ab“: Mit dieser Einschätzung hat das in Hannover ansässige Sportportal Sportbuzzer den 96-Mäzen, Hauptgesellschafter und Geschäftsführer gerade zitiert. Immer wenn Kind öffentlich äußert, sein Trainer genieße volles Vertrauen, wird es in Hannover ungemütlich. Kocak ist seit rund einem Jahr im Amt. Er schafft es bisher auf wundersame Art und Weise, den chronisch unruhigen Kind bei Laune zu halten. Letzteres ist als Trainer bei Hannover 96 vielleicht sogar schwieriger, als die Mannschaft zu formen und zu dirigieren.

In Hannover ist die Angst vor einem sportlichen und wirtschaftlichen Absturz meistens größer als die Vernunft. Der Spielerkader ist zuletzt grundlegend verändert worden, um Neues mit nachhaltigem Erfolg aufbauen zu können. Kocak soll die Zeit bekommen, die dafür notwendig ist. Die aktuelle Tabelle zeigt allerdings, dass Hannover 96 von einer Rückkehr in die Erste Liga Lichtjahre entfernt ist. Die Analyse des Sieges in Hamburg in Überzahl ergibt, dass der Torhüter der mit Abstand beste 96-Spieler war. Ist das sonderbar oder Teil einer Krise? Kocak wird genau das in seinen regelmäßigen Telefonaten mit Kind erklären müssen. Darum ist er nicht zu beneiden.

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