Nach Tirana in drei Stunden

Mit der Öffnung der neuen Verkehrsverbindung fürchten viele, die beiden albanischen Staaten könnten sich vereinigen

Fröhlich pfeifend erhöht Hajdar die Geschwindigkeit und überholt kosovarische Lastwagen

AUS PRIZREN ERICH RATHFELDER

Ganz aufgeregt klingelt Hajdar an der Tür. „Mensch, heute geht es los, heute werden wir durch den neuen Tunnel der Autobahn bis nach Tirana fahren.“ Der ehemalige Bankdirektor tanzt vor Freude. „Stell dir vor, seit der Öffnung der Autobahn im Juni braucht man nur noch drei Stunden, um von Prishtina an die albanische Küste bei Durrës zu gelangen, die Autobahn ist ja jetzt auf der albanischen Seite fertig.“

Neue Autobahn, noch mehr Beton, noch mehr Naturzerstörung? Große Straßen ziehen den Verkehr an, statt ihn zu minimieren. Doch für die Kosovaren zählen diese ökologischen Argumente aus funktionierenden modernen Gesellschaften nicht. Für sie ist die Autobahn ein Geschenk des Himmels. „Mann,“ sagt Hajdar, „wie ist das jetzt toll. Unsere Isolierung ist wenigstens in eine Richtung überwunden.“

Noch ein paar Getränke eingepackt und schon geht es los. Leise summt der Wagen über die Landstraße Richtung Westen, nach Prizren, der Grenzstadt Kosovos hin zu Albanien.Von den sanften Weinbergen in Suva Reka eröffnet sich der Blick auf die Bergwelt ringsherum. Im Süden liegt das Sar-Gebirge, das Kosovo von Mazedonien trennt, im Norden die mächtigen schwarzen Berge, die Grenze Kosovos zu Montenegro. Doch unvergleichlich ist der Wall der albanischen Alpen geradeaus im Westen, der fast senkrecht aus der Ebene des Kosovo aufsteigt. Bis zu 2.800 Meter hoch trennt das Gebirge Kosovo von Albanien. Der erste Blick auf die mächtige Bergkette macht deutlich, dass die Grenze zwischen Albanien und dem Kosovo nicht nur eine politische ist; die Berge bildeten von alters her eine schier unüberwindbare Barriere.

Schlaglöcher passé

„Jetzt können uns die Serben mal …“, feixt der 40-jährige Veton, ein Kleinunternehmer, der in Suva Reka zugestiegen ist. Obwohl das Kosovo am 17. Februar 2007 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat, änderte sich an der verkehrstechnischen Isolierung des Landes kaum etwas. Die Hauptroute nach „Europa“ führt ja eigentlich durch Serbien. Doch die Serben erkennen Kosovo nicht an, Kosovo-Autonummern und die neuen Pässe sind in Serbien wertlos. Albaner des Kosovo können nicht durch Serbien fahren. Und die Straße in die Schwarzen Berge, nach Montenegro, ist beschwerlich und kurvenreich. Es gilt einen Pass von 1.700 Metern zu überwinden. Lediglich die Hauptstadt Mazedoniens, Skopje, im Süden, ist leichter zu erreichen. Für den Warenverkehr nach Westeuropa ist die Strecke jedoch bedeutungslos. Also bleibt die Straße nach Albanien, in die Hauptstadt Tirana und zum Hafen Durrës. Doch diese Straße bestand noch vor wenigen Wochen vor allem aus Schlaglöchern.

Nach etwas mehr als einer Stunde haben wir Prizren erreicht. Auch der neue Staat Kosovo baut an seinen Straßen und hat die Strecke bedeutend verbessert. Doch die projektierte Autobahn ist noch nicht in Angriff genommen. Bisher quält sich der Verkehr durch die Gassen der vom Bistrik-Fluss durchbrochenen alten Stadt mit ihren Moscheen und den 2004 niedergebrannten, inzwischen wieder aufgebauten orthodoxen Kirchen, dem katholischen Dom und den türkischen Häusern mit ihren aus Holz gebauten Erkern. Prizren ist eine multikulturelle Stadt, in der Türkisch neben Albanisch gesprochen wird und Serbisch immer noch eine offizielle Sprache ist. Die Auslagen der Geschäfte sind bunter als in Prishtina, die pailletenbestickten Stoffe muten orientalisch an.

Doch das interessiert heute nicht. 30 Kilometer sind es noch zur Grenze, bis zum niedrigsten Pass der albanischen Alpen. Linker Hand ist eine neue, von vielen besuchte Raststätte entstanden. Ein Zelt aus Glas erhebt sich jetzt an der Stelle, wo 1999, während serbische Milizen fast eine Million Albaner aus dem Land vertrieben, die Serben den Albanern die letzte Habe abnahmen.

Welch eine Veränderung. Die Grenzanlagen in Morina sind erneuert. Und der Übertritt geht zügig vor sich. Und da beginnt sie endlich, die Autobahn. Fröhlich pfeifend erhöht Hajdar die Geschwindigkeit und überholt zahlreiche kosovarische Lastwagen. Der Tunnel bei der Stadt Kalimash führt 5,6 Kilometer durch ein bewaldetes Bergmassiv. Sein Bau verschlang einen Großteil der Kosten von einer Milliarde Euro der 170 Kilometer langen Strecke. Und endlich öffnet sich der Blick über eine dicht besiedelte Hügellandschaft. Nach drei Stunden Fahrt ist Tirana erreicht. Die Einfahrt in die albanische Metropole ist ebenfalls erneuert. Vorbei an vielen renovierten Häusern der bis 1991 während des Steinzeitkommunismus des Enver Hoxha in Grau erstickten Stadt erreichen wir das Zentrum. Endlich finden wir in der dichtgedrängten Menge einen Tisch in einem der zahlreichen Straßencafés. Und treffen Dylber, ehemals Berater der ersten Regierung Sali Berisha, 1992 bis 1997, jetzt pensioniert.

„Dylber, dein Präsident Sali Berisha hat bei der Eröffnung der Autobahn erklärt, die Autobahn und der Tunnel bedeute die Wiedervereinigung der albanischen Nation, was denkst du?“ „Wirtschaftlich ist das auf jeden Fall ein großer Schritt nach vorne. Die Grenze spielt kaum noch eine Rolle. Viele Studenten aus dem Kosovo nutzen die Universität von Tirana. Die Leute aus dem Kosovo machen jetzt Urlaub in Albanien, nicht mehr wie früher nur in Montenegro, viele kaufen sich Häuser an der Küste, da wächst was zusammen, das ist klar, trotz aller Unterschiede.“

Historische Erfahrungen

Was sind denn die? Die albanische Hochsprache wurde doch auch im Kosovo übernommen. „Es sind die historischen Erfahrungen“, erklärt Dylber. Und meint damit, dass Albanien seit 1945 unter der kommunistischen Diktatur des Enver Hoxha zu leiden hatte, viele überlebten die Torturen nicht, die meisten Deportierten fristeten ein kärgliches Dasein am Rande der Dörfer. Und auch denen, die nicht unter die Räder des Systems gerieten, wurde das Leben schwergemacht. Die Menschen aus den Grenzregionen brauchten einen Pass, um überhaupt nach Tirana zu kommen. Die Kontrolle war allumfassend. Dagegen hatten es die Kosovoalbaner noch gut, trotz der serbischen Unterdrückung, der Deportationen in den 50er-Jahren. Mit der Verfassung von 1974 erlangte das Kosovo ein Autonomiestatut, die Albaner durften im Ausland arbeiten. Erst mit dem serbischen Präsidenten Milošević Ende der 80er-Jahre änderte sich die Lage wieder, die Albaner wurden ins Abseits getrieben, aus allen Stellungen geworfen, mussten eine Parallelgesellschaft bilden und nahmen ab 1996 den bewaffneten Kampf auf, der mit Hilfe der Intervention der Nato 1999 zur Unabhängigkeit führte.

„Als wir 1999 als Flüchtlinge nach Albanien kamen, waren wir überrascht von der Armut und Rückständigkeit in Albanien“, sagt Veton. „Wir waren durch die Hölle gegangen, aber wir verstanden uns nicht mit der Bevölkerung, schon unsere Kleidung war trotz unserer Flucht immer noch moderner als die der Bevölkerung in Kukës.“ Seine Frau wolle nach den negativen Erfahrungen während der Flucht – manche Flüchtlinge aus dem Kosovo wurden ja sogar von albanischen Banden ausgeraubt – bis heute nicht nach Albanien fahren. „Die Kosovoalbaner sind weltläufiger, bei uns spricht die ältere Generation noch Serbisch, Hunderttausende Gastarbeiter und Flüchtlinge in Deutschland, der Schweiz und Österreich verstehen Deutsch, die Jugend lernt Englisch. Doch hier in Albanien kann kaum jemand eine andere Sprache, die haben keine Erfahrungen mit dem Ausland“, wirft Hajdar ein.

Und Prizren? Dort, wo 1878 die Liga von Prizren gegründet wurde, war der Ausgangspunkt der albanischen Nationalbewegung. Könnte das nicht die neue, gemeinsame Hauptstadt eines vereinigten Albaniens sein? Geografisch liegt die Stadt im Zentrum aller Albanergebiete, nimmt man noch jene in Makedonien und Montenegro hinzu. Alle drei wiegen mit dem Kopf und schweigen.

„Gewinn für alle“

Gehört doch nicht zusammen, was da zusammenwächst? „Ich wollte das ja gegenüber Dylber nicht sagen, aber wir haben für unsere Freiheit gekämpft und gewonnen, und die lassen wir uns auch nicht mehr nehmen, auch nicht von Sali Berisha“, sagt Veton, nachdem wir längst wieder im Auto sitzen. Und die Straße hinauffahren zum Pass, der Kosovo von Albanien trennt. „Stelle dir einmal vor, wir wären mit Albanien vereinigt, dann kommen die Albaner und wollen uns Kosovoalbaner beherrschen. Das geht doch gar nicht, das will ich nicht. Außerdem haben wir jetzt eine eigene Regierung und Verwaltung. Meinst du, unsere Politiker geben ihre Macht so einfach freiwillig wieder ab?“

Ohnehin, einigen wir uns schließlich, ist eine politische Vereinigung Albaniens und des von Albanern dominierten Kosovo nicht möglich. Denn mit der Unabhängigkeit hat das Kosovo auf Wunsch der EU und der USA eine politische Vereinigung mit Albanien ausgeschlossen. Das war ja eine Bedingung für die diplomatische Anerkennung der Unabhängigkeit. „Es wird wohl auf ein Verhältnis so ähnlich wie Österreich und Deutschland hinauslaufen“, resümiert denn auch Veton. Die neue Autobahn aber sei für alle ein Gewinn.