Erfolgreich trotz Gegenwind

Klare Gut-böse-Schemata machen Filme langweilig – das nimmt sich Lu Chuan zu Herzen, auch wenn es national gesinnte Chinesen empört

Es ist noch gar nicht lange her, da erhielt Lu Chuan Morddrohungen via E-Mail. Als „Verräter“ wurde der chinesische Filmemacher beschimpft. Seiner Mutter und seinem Vater, dem Schriftstellers Lu Tianming, wünschten die anonymen Schreiber einen qualvollen Tod. Anlass für die Hassmails war Lu Chuans dritter Spielfilm, „Nanjing! Nanjing!“ („City of Life and Death“). Im April kam er in China in die Kinos, am Wochenende erhielt er beim renommierten Filmfestival im spanischen San Sebastián den Hauptpreis, die Goldene Muschel. In dem Schwarzweißfilm schildert Lu Chuan die Besetzung der chinesischen Stadt Nanking durch japanische Soldaten im Jahr 1937. Die Kriegsverbrechen, die die japanische Armee verantwortete und denen laut chinesischen Schätzungen 300.000 Menschen zum Opfer fielen, sind schonungslos in Szene gesetzt. Dass national gesinnte Chinesen empört reagierten, liegt an einer der Hauptfiguren – einem japanischen Soldaten, der angesichts der Gräuel zu zweifeln beginnt. Ihn zeichnet Lu Chuan mit Sympathie.

Ein Erfolg an den Kinokassen war „Nanjing! Nanjing!“ trotz der Kontroverse: Mehr als 20 Millionen Dollar spielte der Film allein in den ersten zweieinhalb Wochen ein. Wenn sich am 1. Oktober die Gründung der Volksrepublik China zum 60. Mal jährt, gehört er zu den zehn Filmen, die ausgewählt wurden, die Feierlichkeiten im Kino zu flankieren.

Klare Gut-böse-Schemata machen Filme langweilig – das nimmt sich der 1971 geborene Lu Chuan, der in Peking an der Filmhochschule und in Nanking an der Militärakademie studierte, zu Herzen. Vor fünf Jahren stellte er im Forum der Berlinale seinen Spielfilm „Kekexili – Mountain Patrol“ vor, der in seiner Wucht und Unausweichlichkeit an einen Spätwestern erinnert. Eine Gruppe von Rangern verfolgt in den Bergen Tibets Wilderer.

Anfangs sind die Fronten klar: dort die Jäger der vom Aussterben bedrohten Antilopen, hier die Naturschützer. Doch je länger der Film voranschreitet, umso deutlicher tritt zutage, dass die einen den anderen immer ähnlicher werden. Anders als „Nanjing! Nanjing!“, der 13 Millionen Dollar kostete, ist „Kekexili“ eine Low-Budget-Produktion, freilich eine, die im Superbreitwandformat gedreht ist. Aus den Bergpanoramen Tibets schlägt Lu Chuan fantastisches Kapital.

CRISTINA NORD