Ein Foul fürs Gericht

Vor dem Amtsgericht muss sich ein Ex-Amateurfußballer wegen Körperverletzung verantworten. 2018 hatte er seinen Gegner mit einem Ellbogencheck schwer verletzt

„Ich bin immer viel gefoult worden. Nie hätte ich daran gedacht, das anzuzeigen“

Şenol Aslan, ehemaliger Fußballer

Von Benno Schirrmeister

Es ist die 90. Minute, die letzte Aktion: Zweimal schon hatte Şenol Aslan ausgeglichen. Jetzt hat er den Ball am Fuß, versucht Marc H. zu tunneln, klappt nicht. Er behauptet den Ball, täuscht links an. Zieht rechts vorbei. Und wumm! Hat er den Ellbogen des Verteidigers in der Fresse. „Ich habe Sterne gesehen“, sagt er, und: „Meine Lippe war durch die Mitte geteilt.“ Das schildert Aslan vorm Amtsgericht, wo sich Marc H. jetzt wegen Körperverletzung verantworten muss.

„Mein ganzes Gebiss ist im Arsch.“ Zwei Schneidezähne habe der kompakte und schnelle Stürmer bei der Attacke verloren, „die steckten im Gaumen drin“, daraufhin habe sich eine Entzündung gebildet und ... – es tut einfach schon beim Zuhören weh.

Gestern war Prozessauftakt. Und am heutigen Freitag entscheidet sich, ob aus der Partie der Ü32-Alte Herren-Kreisklasse aus dem Jahr 2018 ein großes Verfahren mit gut 25 Zeug*innen wird, womöglich auch mit rechtsmedizinischen Gutachter*innen. Und mit vielen Terminen im kommenden Jahr. Oder ob die Sache gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt wird, wie die Vorsitzende Richterin Anja Engelhardt anregt. Die Staatsanwaltschaft ist skeptisch, denn H. ist schon einschlägig auffällig geworden.

Aber nein, es ist nicht ganz so leicht festzustellen, ob H. dem Gegenspieler „mit seinem Ellbogen mit voller Absicht gezielt ins Gesicht schlug“, wie es ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft, und wie sich auch der von Mustafa Ertunc vertretene Nebenkläger sicher ist. Oder ob es sich bei dem Vorfall um eine unwillkürliche Bewegung gehandelt hat, eine hektische Körperdrehung im Eifer eines Spiels, bei dem es um – na ja, in diesem Fall eigentlich nicht mal Kohle ging, sondern um den Spaß an der körperlichen Bewegung und die Begeisterung für den Sport. Dann wäre es nur ein schlimmer Unfall gewesen, mit drastischen Folgen: „Ich kann noch nicht mal einen Apfel essen“, sagt Aslan. Zwei Monate lang sei sein Gesicht so zugeschwollen gewesen, dass er sich nicht unter Menschen getraut habe. Danach erst sei er wieder auf die Straße gegangen, raus – um Anzeige gegen H. zu erstatten.

„Um die Verletzung tut es mir leid“, beteuert H. in seiner Aussage. Aber „Absicht war es nicht.“ Wie es denn dazu kam? „Ich kann es nicht erklären.“ Der Handwerker wirkt wie ein Häufchen Elend. Ein Spiel habe er nach der verhängnisvollen Partie noch gemacht. Seither sei Schluss für ihn mit Fußball.

Während das Gericht sich mit den Anwält*innen darüber berät, wie das Verfahren nun weiterzuführen sei, und ob 500 oder 1.000 Euro eine angemessene Buße wären, wiederholt er die Entschuldigung in Richtung seines Opfers. „Es war wirklich keine Absicht.“ Es klingt schon flehentlich.

Auf dem Gerichtsflur schildert ihm Aslan, wie irre es ihm vorkomme, als Kläger vor Gericht zu stehen. „Ich bin immer viel gefoult worden“, sagt er. „Nie hätte ich auch nur daran gedacht, das anzuzeigen“, gerade weil er auch kein Kind von Traurigkeit sei und so seine Erfahrungen mit der Justiz gemacht habe. Er schildert auch seine Rachefantasien: „In der Zeit, wo ich so zu Hause war, habe ich mir geschworen, ich zahle dir das hundertfach heim. Da verlierst du nicht zwei Zähne, sondern alle.“

Die Rolle des Opfers, das passt nicht ins Selbstbild von Aslan. Er ist ein starker Mann, dafür tut er viel: Krafttraining, Thai-Boxen. „Ich bin nicht groß“, erläutert er seine Rolle beim Fußball, „aber ich bin immer der Schnellste“. Auch er hat mit Kicken aufgehört, seit jenem Ellbogencheck. „Ich habe 30 Jahre gespielt“, sagt er. „Das war eine schöne Leidenschaft.“ Aber die ist futsch. „Es macht einfach keinen Spaß mehr, da sind immer Leute wie er, die nehmen das Spiel zu ernst“, sagt er der taz.

Aslan habe therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen. „Wenn ich mit meiner Freundin essen gehe, dann muss ich die Prothese rausnehmen. Was denken Sie, wie sich das anfühlt?“, fragt er die Richterin, die verständnisvoll nickt. „Ich schäme mich.“