portrait
: Bushs Mann, den niemand kennt

John Roberts, Präsident George W. Bushs Kandidat für den freien Richterposten am Obersten Gerichtshof der USA, war bislang nur Kennern des juristischen Establishments in Washington ein Begriff. Denen allerdings gilt der 50-Jährige als republikanisches Schwergewicht.

Bis 2003 arbeitete der Harvard-Absolvent und ehemalige Assistent des heutigen Chefrichters am Obersten Gerichtshof, William Rehnquist, in einer renommierten Washingtoner Kanzlei. Er diente Ronald Reagan und beiden Bush-Regierungen als Anwalt. So vertrat er im Jahre 2000 Bush junior im Rechtsstreit nach dem Wahldebakel von Florida.

Es überraschte daher nicht, dass ihn George W. Bush als Dankeschön vor zwei Jahren auf seinen derzeitigen Posten als Berufungsrichter im Hauptstadtbezirk berief. Damals segnete der US-Senat die Nominierung ohne Gegenstimme ab – was die Republikaner der Opposition ständig unter die Nase reiben werden. Zumal der jugendliche und selbstironische Roberts ein sympathischer Familientyp ist, der es auch Bushs politischen Gegnern schwer machen dürfte, ihn zu dämonisieren. Selbst Demokraten loben ihn als „Mann von Charakter und Talent“.

Roberts ist, nach allem, was man über ihn weiß, kein radikaler Konservativer. Doch er ist offenbar für Bush standfest genug und unterscheidet sich damit von der in Rente gehenden Richterin Sandra O’Connor, die oft, zum Leidwesen der religiösen Rechten, ideologiefrei urteilte und konservative Mehrheiten verhinderte. Dennoch bleibt Roberts weitgehend ein unbeschriebenes Blatt. Er verhandelte zwar als Anwalt 39 Fälle vor dem Obersten Gerichtshof, doch es war seine eigene Überzeugung, was er da vehement vertrat, weiß nur er selbst. Seine vermeintlich ablehnende Haltung zur Abtreibung etwa wird einem Rechtsstreit entnommen, in dem er dafür plädierte, staatlich finanzierte Beratung von Frauen innerhalb von Familienplanungsprogrammen zu verbieten. Ein Satz ließ damals die Abtreibungsbefürworter aufschrecken: „Roe vs. Wade“, jenes Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs von 1973, das Abtreibung legalisierte, sollte seiner Ansicht nach neu aufgerollt werden. In späteren Senatsanhörungen stellte er allerdings klar, dass dies nicht seine persönliche Haltung, sondern die der Regierung gewesen sei, die er vertreten habe.

Sollte er im Herbst bestätigt werden, und nichts deutet derzeit auf das Gegenteil hin, wird er dann zumindest in einem Punkt Geschichte geschrieben haben: Er ist der jüngste jemals nominierte Verfassungsrichter und dürfte alle seine Kollegen überleben. MICHAEL STRECK

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