Raus aufs Dorf zum Rocken

OPEN-AIR Der Berliner Veranstalter Carlos Fleischmann will mit dem Greenville ein hochkarätiges Musikfestival der etwas anderen Art in Brandenburg etablieren

„Mit dem Programm sind wir ziemlich neben der Spur“

CARLOS FLEISCHMANN, VERANSTALTER

VON GUNNAR LEUE

In ihrer Familienpension sind alle drei Gästezimmer ausgebucht, sagt Frau Flucht. „Allet wegen der Veranstaltung.“ Wegen der werde es an diesem Wochenende auch ein bisschen laut – das hat ihr und den anderen Dorfbewohnern von Paaren/Glien im Havelland der Bürgermeister in einem Brief angekündigt. Er hat auch erwähnt, dass man als Dorfbewohner verbilligten Eintritt bekomme. Frau Flucht will das Angebot nicht nutzen. „Um Gottes willen, ick bin 64, ick kenn da doch gar keenen.“

Sie meint Musiker wie Iggy Pop (übrigens ihr Alter), The Roots, Flaming Lips, Deichkind und weitere knapp 60 Bands, die bei der Veranstaltung namens Greenville-Festival auftreten. Es findet das erste Mal in dem Dorf 30 Kilometer nordwestlich von Berlin statt.

Veranstalter ist Carlos Fleischmann mit seiner Agentur creative talent. Der 42-Jährige erscheint wie ein Abbild des hemdsärmeligen Rockbiz-Typen: Jeans, T-Shirt, Tattoos satt. In seinem Kreuzberger Agenturbüro parkt ein schweres Motorrad. Was mehr erstaunt, sind die eingerahmten Fußballtrikots an der Wand. Fleischmann, der mal in der Jugend von Werder Bremen spielte, ist auch Fifa-lizenzierter Spielervermittler. Seine Agentur hat mehrere junge Fußballprofis unter Vertrag. Den Mut zu ausgefallenen Geschäftsideen kann man ihm nicht absprechen.

Greenville ist schon sein zweiter Anlauf, ein hochkarätiges Rockfestival im Berliner Umland zu etablieren. Von 2003 bis 2005 hatte er im südbrandenburgischen Luckau das Berlinova-Festival organisiert. Es war damals das einzige Rockfestival im Großraum Berlin – und die Hoffnung war deswegen nicht ganz unberechtigt, viele Besucher aus der Stadt anzulocken. Die kamen jedoch nicht.

Diesmal soll alles besser werden. Fleischmann, der in Berlin als lokaler Veranstalter längst Fuß gefasst hat, möchte ein wirklich spezielles Festival auf die Beine stellen. Vorbild: das englische Glastonbury. Angesichts der allgemein großen Festivalkonkurrenz und des auch sonst großen Konzertangebots in Berlin bleibt ihm nichts anderes übrig, als für Greenville die Vision des „etwas anderen Festivals“ zu verkünden. Musikalisch ist das Spektrum schon mal sehr speziell, die Mischung wild: die Punkrocker Iggy & The Stooges, der Songwriter Olli Schulz und der Mainstreamtechnoprügelknabe Scooter stehen auf einer Bühne. „Mit dem Programm sind wir ziemlich neben der Spur“, findet selbst Fleischmann.

Auch der äußere Rahmen von Greenville soll sich abheben. Man versucht es mit Europalettenschick und einer Melange aus Bar25-Ambiente und rustikaler Dorfidylle. Unfreiwillig schräg ist, dass das Festivalgelände, das zu DDR-Zeiten einer LPG gehörte, vor und nach Greenville als „Erlebnispark“ firmiert. Jeden Mai findet dort eine Landwirtschaftsausstellung statt inklusive Wahl der „Milchkönigin“.

Sofern die zu den Greenville-Besucherinnen gehören sollte, kann auch sie sich an einem vielfältigen kulinarischem Angebot erfreuen: Bioeis, veganes Essen, aber natürlich auch Fleisch. Alles von regionalen Anbietern.

Inzwischen hat sich Greenville weit herumgesprochen. Die Nähe zum Reizmoloch Berlin sorgte gar dafür, dass überproportional viele Tickets vorab ins Ausland verkauft wurden, bis nach Australien. Dagegen müssten die Berliner das Festival „erst mal für sich entdecken“, dämpft Veranstalter Fleischmann übertriebene Erwartungen. Das können sie sogar auf dem Fahrrad. Am Freitag startet um 11 Uhr am S-Bahnhof Westhafen eine „Tour de Greenville“ zum Festival. Organisiert wird der dreistündige Ausflug von Viva con Agua, die neben anderen NGOs wie Amnesty International auf dem Festival mit Infoständen präsent sein wird.

Dass Greenville ein andersartiges Festival wird, hat persönliche Konsequenzen für Veranstalter Fleischmann. Der Familienvater wird nicht wie sonst in einem Hotelzimmer den Rest der Festivalnächte verbringen, sondern zusammen mit Frau und beiden Kindern vor Ort zelten. „Ich spüre jetzt doch wieder ein wenig den Spirit von früher.“

■ Heute bis Sonntag in Paaren/Glien, Tickets kosten 45 bis 90 Euro. Mehr Infos unter: www.greenvillefestival.com