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Der verfluchte Untote

BAYREUTH Nach dem Tattoo: Jan Philipp Gloger inszeniert „Der fliegende Holländer“

Dem szenischen Mittelmaß ist die musikalische Seite des Abends glücklicherweise weit überlegen

VON REGINE MÜLLER

„Hier gilt’s der Kunst“, ließen Wieland und Wolfgang Wagner einst ausrufen, als die Bayreuther Festspiele sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum Neubeginn formierten. Ein fataler Satz. Denn dieses Zitat aus den „Meistersingern“ gilt bis heute als eine Art Bumerang für die Festspiele, die trotz aller Beteuerungen des Leitungsduos die eigene, stark kontaminierte Vergangenheit noch immer nicht adäquat aufgearbeitet und die Giftschränke geöffnet haben – auch wenn in diesem Jahr die Ausstellung „Verstummte Stimmen“ endlich die rassistische Besetzungspolitik des Hauses dokumentiert. Bayreuth ist allerdings bereits die fünfte Station dieser verdienstvollen Schau, die bereits 2006 konzipiert wurde. Dass Bayreuth das Schlusslicht bildet, spricht Bände über den Eifer, der hier in Sachen Vergangenheitsbewältigung waltet. Dabei ist das Stichwort Besetzungspolitik ja gerade in diesem Jahr wieder von höchster, ja peinlicher Brisanz.

Denn Bayreuth hat den ersten Skandal bereits vor der Premiere hinter sich gebracht, wie überhaupt der ganze Rummel mit rotem Teppich und Promi-Schaulauf das hehre Kunstmotto immer wieder aufs Neue dementiert. Der russische Bariton Evgeny Nikitin, der die Titelpartie singen sollte, reiste kurz vor der Generalprobe ab, als bekannt wurde, dass er seine Brust mit einem mittlerweile überdeckten Hakenkreuz verziert hat. Der Sänger, mit dessen Underdog-Image zuvor geworben worden war, distanzierte sich nicht genug von seiner Vergangenheit und war damit nach Ansicht der Festspielleitung als Darsteller des „ewigen Juden“ untragbar geworden. Wieder einmal fand das eigentliche Drama jenseits statt auf der Bühne statt. Leider.

Jan Philipp Glogers Inszenierung der Seemannssage blieb trotz manch eindrücklicher Bilder konventionell und flach. Der 31-Jährige ist leitender Regisseur am Staatstheater Mainz und hat bislang erst zwei Operninszenierungen vorzuweisen. Vorab hatte er gesagt, dass er den verfluchten Untoten nicht als Phantom, sondern als heutigen Menschen auf der Suche nach seinen Gefühlen zu zeigen gedenke. Davon ist wenig zu sehen.

Wenn nach der Ouvertüre der Vorhang hochgeht, blickt man in die Innereien der digitalen Welt: Zwei riesige Platinenplatten lassen wellenartig verbogen einen schmalen Gang, im Rhythmus der Sturmmusik flimmern Datenströme und auf diversen Anzeigen rattern die Zahlen einer Schuldenuhr (?). Dann wird am Bühnenrand ein Ruderboot sichtbar, dem der Kaufmann Daland entsteigt. Bald naht der Holländer im Anzug, mit Rollkoffer und To-go-Kaffeebecher. Seltsame schwarz glänzende Male zieren seinen Kopf. Er soll einen gestressten Manager in der global beschleunigten, durchökonomisierten Arbeitswelt darstellen, der aus seinen Zwängen ausbrechen will.

Sentas Welt hingegen ist keine Spinnstube, sondern ein Versandlager für Tischventilatoren, was eine mäßig witzige Übersetzung der Spinnräder ist. In der Schar der adretten Verpackungsdamen ist Senta im roten Kleid – Achtung! Außenseiterin – damit beschäftigt, sich aus Pappe allerhand rot Bekleckstes zu basteln. Einen unförmigen Kerl, eine Fackel, Blumen und Flammen. Den Pappkerl schmeißt sie weg, als die Liebe zum Holländer erblüht, und mit der Fackel simuliert sie später die Freiheitsstatue. Das große Liebesduett absolvieren beide weit getrennt voneinander auf Kartons stehend, während die Drehbühne Karussell fährt. Dann kriegt Senta auch noch Engelsflügel umgeschnallt. Das alles ist herzlich brav und verkürzt die Dimensionen des Stoffs ins allzu Handliche. Auch die geschickt gebauten Chortableaus verraten solides Handwerk, aber keine tieferen Einsichten in die Dynamik von Massen.

Dem szenischen Mittelmaß ist die musikalische Seite des Abends weit überlegen, in erster Linie dank Christian Thielemanns souveräner, wenn auch nicht störungsfreier Stabführung. Hinreißend ist die plastisch und kontrastreich musizierte Ouvertüre, in der das Englischhornsolo ganz frei formuliert wie die Intonation eines Shantys klingt. Thielemann nimmt den Apparat sonst stark zurück, betont die Herkunft von der Lortzing’schen Spieloper und setzt starke Akzente.

Die Sänger agieren auf hohem Niveau: Der eingesprungene Samuel Youn ist ein belcantistischer Holländer, der mangelnde Stimmschwärze mit Legato-Kultur wettmacht. Adrianne Pieczonka ist eine glasklare, manchmal höhenscharfe Senta, Franz-Josef Selig ein imposanter Daland und Benjamin Bruns ein blitzsauberer Steuermann. Herausragend wie immer die Chöre trotz Wackler. Beim Schlussapplaus die in Bayreuth übliche Trennung: Frenetischer Applaus fürs Musikalische, Buhgewitter fürs Regieteam.

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