Weimarer Verhältnisse im Stadtparlament

In Stolberg bei Aachen hat sich neun Monate nach den Kommunalwahlen immer noch keine Mehrheit im Stadtrat finden können. Der neue SPD-Oberbürgermeister Gatzweiler will ab jetzt „parteineutrale“ Entscheidungen treffen

STOLBERG taz ■ In Stolberg herrschen Weimarer Verhältnisse: Das im Kreis Aachen gelegene Städtchen ist seit den Kommunalwahlen im September 2004 ohne klare Ratsmehrheit. Neun Monate nach dem Urnengang bekleidet Ferdi Gatzweiler (SPD) zwar das Amt des Bürgermeisters. Er muss sich „zum Wohle der Stadt Mehrheiten suchen, wo ich sie brauche“. Erst scheiterten Gespräche zwischen SPD, Grünen und Liberalen, dann konnten auch Sozialdemokraten und CDU im Stadtrat keine Mehrheit bilden. Für Chaos sorgen zusätzlich die Splitterparteien DVU, NPD, UWG und ABS.

Persönliche Absprachen waren bisher zum Scheitern verurteilt: Am 5. Juli kam es zum Abstimmungsdesaster. In der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause standen Entscheidungen an zum Haushalt der Kleinstadt und zur Neuausschreibung der Abfallentsorgung – doch Mehrheiten gab es für keinen der Entwürfe. Nach einer Reihe von Krisengesprächen verfassten Stadtchef Gatzweiler und Landrat Carl Meulenbergh (CDU) dann Ende letzter Woche eine gemeinsame Erklärung. Es bestehe „die schwierige Situation, dass in weiten Teilen Ausgaben nicht mehr geleistet werden dürfen“, hieß es darin. Die Auswirkungen für das Gemeinwohl seien „nicht absehbar“. Der SPDler und der CDUler forderten den Rat auf, in der nächsten Sitzung einen Haushaltsbeschluss zu fassen. Weiterer Schaden solle so abgewendet werden.

Bei der Kommunalwahl und anschließender Stichwahl im Herbst war Gatzweilers Vorgänger Hans-Josef Siebertz (CDU) abgewählt worden. Seitdem herrscht das Allparteiensystem. Klare Mehrheiten waren im Stadtrat seitdem nicht mehr vorhanden. Ein DVU- und zwei NPD-Männer sitzen im Kommunalparlament, aber die Demokraten wollen auf die Stimmen der Rechtsextremen nicht zählen müssen. Zwei Sitze errang die örtliche UWG, auch sie soll rechtsgerichtet sein: Mitte Oktober 2004 soll sie bei der Bürgermeisterwahl für den NPD-Ratsmann Willibert Kunkel votiert haben. Im Rat sitzen ferner ein Mitglied der Alternativen Bürgerliste (ABS), vier FDP-Vertreter und drei Grünenpolitikerinnen. Die CDU ist mit 19, die SPD mit 18 Sitzen vertreten.

Zu Beginn der Legislaturperiode hatte die CDU eine große Koalition ausgeschlossen. SPD, Grüne und FDP gründeten daraufhin zwar keine Koalition, sprachen sich jedoch für Entscheidungen ab. Auch diese Kooperation endete, nachdem die Genossen die Ampel wieder „cancelten“, so Gatzweiler. Daraufhin folgten nach der Landtagswahl im Mai Annäherungsversuche zwischen CDU und SPD, die letztlich, so der Bürgermeister, so „weit gediehen“ waren, zumindest den Haushalt zu sichern. Kurz vor der letzten Ratssitzung änderten die Christdemokraten ihre Meinung und lehnten die noch gemeinsam mit der SPD erarbeiteten Vorschläge ab.

Oberbürgermeister Gatzweiler hofft nun auf ein Ende der „besonderen Situation“ und einen mehrheitlichen Ratsbeschluss im August. Zur Sicherheit haben er und der Landrat jedoch schon öffentlich kundgetan, nötige Entscheidungen bis auf weiteres „zielgerecht, aber vor allem parteipolitisch neutral“ zu treffen.

Michael Klarmann