Pilgern zu den Megaperls

Im Hamburger Museum für Völkerkunde sind bis Sonntag berühmte buddhistische Reliquien zu sehen. Sie sollen positive Energie verströmen und Liebe und Mitgefühl auf die Besucher übertragen. Eine Begehung

Während draußen der Feierabendverkehr über die Hamburger Rothenbaumchaussee rollt, dringt im Inneren des Museums für Völkerkunde eine leise Frauenstimme aus versteckten Lautsprechern. „Be free from danger“, haucht sie kaum hörbar. Vor den Fotos von dicken, goldenen Buddahs bilden sich Menschentrauben, nebenan werden Perlenketten und Yogakissen verkauft. Der schwere Duft von Räucherstäbchen hängt in der Luft.

Noch bis zum Sonntag sind im Hamburger Museum die Herz-Schrein-Reliquien zu sehen. „Wenn die sterblichen Überreste großer Meister des Buddhismus verbrannt werden, bleiben mitunter kleine perlenähnliche Objekte in der Asche zurück“, sagte bei der Ausstellungseröffnung der Abt der Vien-Giac Pagode in Hannover, Thich Hanh Tan. „Diese Reliquien verströmen positive Energien wie Liebe und Mitgefühl, die sie auf die Betrachter übertragen.“

Im ersten Stock des Museums hat sich eine Schlange gebildet, Dutzende Besucher warten zwischen afrikanischen Masken und Kanus aus Neuguinea, aber sie interessieren sich nicht für sie. Sie sind wegen der Kugeln da, die aussehen wie Megaperls, wegen der roten Fäden, die man leicht mit Safran verwechseln könnte, wegen der Bröckchen, die sie für Zähne halten.

„Die haben eine total heilsame Ausstrahlung, spürst du das auch?“ fragt eine mittelgroße Blonde ihre Bekannte mit dem Mekkihaarschnitt und stellt sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf die heiligen Gegenstände zu erhaschen.

„Be free from physical sufferings“, sagt die leise Frauenstimme. Hier oben, bei den Reliquien hört man sie deutlicher – weil man näher am Lautsprecher steht. Und weil die Besucher beinahe verstummen, sobald sie den Treppenabsatz überwunden haben. Die Blonde darf als Nächste an den runden Tisch treten, auf dem die Reliquien ruhen. Sie ist überwältigt. Tränen steigen ihr in die Augen. Sie greift noch mal kurz an ihre Leinentasche, wirft noch einen letzten Blick in Richtung ihrer Freundin und betritt den schmalen, durch Seile begrenzten Weg um den Altar.

Ein großer, goldener Buddah, umrahmt von einem Palmenkranz mit bunten Blüten und blinkender Lichterkette thront über den Heiligkeiten. Seine linke Hand ruht auf dem linken Knie, die Handfläche der Rechten hat er den Wartenden zugewandt. Die Reliquien zu seinen Füßen stehen auf einem goldenen, mit roten Schleifchen bestickten Tuch. Darunter blinkt es im Sekundentakt – eine weitere Lichtquelle für Liebe und Mitgefühl. Andächtig betrachten die Gläubigen die Schätze, die Hände während des gesamten Rundgangs artig gefaltet.

„Das klingt immer komisch, wenn man das sagt, aber der Ort hat sehr viele positive Schwingungen“, glaubt Rita aus Hamburg. Rita sitzt auf einer der vielen Schaumstoffmatten, die im Raum verteilt liegen. Gleich will sie sich auch noch von dem tibetischen Mönch segnen lassen, der auf einem wackligen Metallstuhl sitzt und denen, die vor ihm niederknien, eine goldene Glocke auf den Kopf drückt. „Danach habe ich mich schon ein bisschen anders drauf gefühlt“, sagt Claudia, gerade frisch gesegnet. Sie hat ihre Brille neben sich auf die Matte gelegt und lauscht der leisen Musik. „Es ist so friedlich hier.“

Die Hamburger Ausstellung sammelt Geld für ein Projekt, das im nordindischen Maitreya die weltgrößte Buddhastatue errichten will. 2010 soll sie fertig sein, dann werden die Reliquien im Herzschrein der 152 Meter hohen Statue für mindestens 1.000 Jahre verschlossen.

Beseelt vom Räucherkerzenduft und dem Segen des Mönchs steigt Rita die Treppe in den Eingangsbereich hinab, reibt sich den Staub von den Füßen und zieht die Schuhe wieder an. Drinnen diskutiert die Blonde mit der Leinentasche leise über die Existenz des Menschen, draußen ist der Straßenlärm doppelt so laut wie zuvor. Christina Stefanescu