Klangliche Avantgarde

Mit einem Konzert im Kesselhaus launchte Mary Ocher ihre neue Bookingagentur: Das Underground Institute zeichnet sich durch experimente Klänge und vorwiegend weibliche Künstlerinnen aus

Ya Tosiba aus Aserbeidschan performte in Trainingsjacke orientalisch anmutenden Dance-Pop Foto: Underground Institute /Screenshot taz

Von Andreas Hartmann

Wattige Synthesizer-Klänge und dazu ein weltabgewandter Gesang, die Deutsch-Brasilianerin Gloria de Oliveira lässt den guten alten Dream-Pop wiederaufleben. Ihr Konzert, das per Livestream zu erleben war, gab sie im Kesselhaus ohne Publikum. Und das passte eigentlich ganz gut zu der geisterhaften Musik. Jedes Ein- und Ausatmen irgendwelcher Zuschauer, ganz zu schweigen von klirrenden Bierflaschen, hätte da nur gestört. So blieb die Musik und nichts als die Musik und das war absolut begrüßenswert – vielleicht werden Livestreams zu Unrecht im Allgemeinen als trostlose Surrogate angesehen.

Aber natürlich stand hinter dem Spielen im menschenleeren Konzertraum keine künstlerische, sondern eine pandemiebedingte Entscheidung. Dreimal hatte die in Berlin lebende Musikerin Mary Ocher bereits den Launch ihrer neuen Bookingagentur Underground Institute in diesem Jahr angekündigt, einmal für den Mai, dann für den August und schließlich jetzt für den November. Und das natürlich als Live-Showcase. Am Ende wurde es dann eben doch eine Veranstaltung für den Livestream und die Wohnzimmercouch daheim.

Gloria de Oliveira ist eine der bereits 15 Musiker und Musikerinnen, die von The Underground Institute vertreten werden. Die Agentur hat ihren Sitz in Hamburg, wohin Mary Ocher regelmäßig pendelt, ihr Ehemann lebt auch dort. Ocher selbst ist eine stets für experimentelle Klänge offene Multiinstrumentalistin mit ungewöhnlicher Vita. Geboren wurde sie in Russland, dann lebte sie in Israel, bevor sie vor 13 Jahren nach Berlin zog. Hier trat sie erst als Straßenmusikerin auf und wurde dann zunehmend zu einem Subkultur-Star. Mit Underground Institute vertritt sie nun Musiker und Musikerinnen, die genau wie sie in kein Raster passen.

Künstlerinnen wie die Dreampopperin Gloria de Oliveira eben, die nebenbei auch noch Filme produziert. Oder wie die in den USA geborene Gesangsartistin Audrey Chen, die derzeit in Berlin lebt und die auch im Kesselhaus auftrat. Chen stellt mit ihrer Stimme ziemlich außergewöhnliche Dinge an. Sie röchelt, gurgelt, faucht und gibt erstickte, implodierende Schreie von sich. Bei ihrem Konzert bediente sie zudem eine Art selbstgebaute Krachmaschine aus Holz, die fiepte und brummte.

Das war dann klangliche Avantgarde wie aus dem Buche. Ocher selbst trat bei dem Event im Kesselhaus nicht auf, sondern begleitete ihre Künstlerinnen als Host durch den Abend.

Sie röchelt, gurgelt, faucht und gibt erstickte Schreie von sich

Mit sichtbarem Spaß an der Sache führte sie diese mit etwas Smalltalk ein. Bestimmendes Thema war dabei natürlich alles rund um das Leben mit Corona. Und als dann gelegentlich mal der Ton ausfiel, wie es sich für jeden ordentlichen Livestream gehört, grinste sie die technischen Probleme souverän weg. Wie divers und international die von Underground Institute vertretenen Musiker und Musikerinnen sind, zeigte sich auch beim letzten Auftritt des Abends. Ya Tosiba aus Aserbeidschan performte in ihrer Trainingsjacke orientalisch anmutenden Dance-Pop, zu dem im Kesselhaus wahrscheinlich auch getanzt worden wäre, wenn denn Zuschauer erlaubt gewesen wären.

Ausschließlich Frauen repräsentierten Mary Ochers junge Agentur im Kesselhaus. Das machte absolut Sinn, denn Underground Institute ist auch mehrheitlich für Frauen zuständig. Fragt man Mary Ocher per E-Mail, ob sie damit bewusst ein Statement setzen wolle, fragt sie einfach zurück: „Ist es nicht lustig, dass es gleich als eine bestimmte Aussage angesehen wird, wenn man mehr Frauen als Männer vertritt?“ Dann holt sie doch noch etwas weiter aus: Ja, die große Mehrheit bei Underground Institute würde von Frauen gebildet, was im Bereich der experimentellen Musik immer noch nicht sehr üblich ist. „Aber letztlich sind das einfach Künstlerinnen, die ich liebe und denen ich Erfolg wünsche.“

Man darf auch gespannt sein, wie sich Underground Institute weiterentwickeln wird. Aber wahrscheinlich muss für den Erfolg einer Bookingagentur wie dieser erst einmal diese verdammte Pandemie verschwunden sein.

Unter: https://www.youtube.com/watch?v=EmeoqE29HoU