Die Masse ausgewählter Marken

Am Wochenende ist Berlin wieder en vogue. Vier Modemessen zeigen neueste Trends. Der Trendzur Messevermehrung aber ist gebrochen. Im Januar gab es noch sieben parallele Veranstaltungen

VON JAN KEDVES

Seien Sie gewarnt! Falls Sie heute oder am kommenden Wochenende auf offener Straße das Gefühl beschleicht, schlechter auszusehen als sonst, zweifeln Sie nicht an sich oder ihrer Garderobe. Achten sie stattdessen lieber etwas genauer auf die anderen Menschen auf der Straße. Sehen diese Menschen gehetzt aus? Haben sie Magazine und Kataloge unter dem Arm klemmen und wedeln mit bunten VIP-Pässen und -Bändchen gerade ein Taxi heran? Richtig, das sind die Modeprofis, die – alle halbe Jahre wieder – Berlin stürmen.

Dieses Wochenende ist es wieder soweit: In der Stadt wird Mode gezeigt, genauer gesagt: die Mode des Frühjahrs und Sommers 2006. Das ehemalige Siemens-Kabelwerk in Spandau, der alte Postbahnhof im Gleisdreieck und auch die Messehallen am Fernsehturm: In ihnen verschwinden drei Tage lang zigtausend aus ganz Europa angereiste Einkäufer, Händler und Modejournalisten, all diese hektischen Fachbesucher.

Bis Januar dieses Jahres schienen sich die Modemessen in Berlin unkontrolliert zu vermehren. Dieser Trend scheint nun vorerst gebremst: Von den sieben Modemessen, die vor sechs Monaten parallel in der Stadt stattfanden, gibt es an diesem Wochenende nur noch vier: „Bread & Butter“, „Premium“, „Spirit of Fashion“ und „B-in-Berlin“. Weniger Gäste in der Stadt sind deswegen nicht unbedingt zu befürchten: Allein die „Bread & Butter“ rechnet wieder mit 30.000 Besuchern.

Wer die Lawine an Messen ursprünglich losgetreten hat, in der Hoffnung, die alte Modetradition Berlins, das in den 20er-Jahren neben der Haute-Couture-Stadt Paris das Zentrum für Prêt-à-porter-Mode darstellte, wiederzubeleben, darüber lässt sich streiten. Fakt ist, dass die „Bread & Butter“ und die „Premium“ im Januar 2003 zeitgleich gestartet sind und sich teilweise die Aussteller streitig machen.

Dennoch scheint es beiden Messen gut zu gehen, immerhin residieren sie jeweils in eigens erworbenen Immobilien: Das Siemens-Kabelwerk in Spandau ist seit Dezember 2003 im Besitz der „Bread & Butter“, die „Premium“ hat den Postbahnhof im Gleisdreieck, in dem sie an diesem Wochenende zum ersten Mal zu finden sein wird, vor kurzem erworben. Diese neue Location soll dem Provisorium, das die vorher auf dem Potsdamer Platz aufgeschlagenen „Premium“-Zelte darstellten, ein Ende bereiten.

Um internationale Beachtung brauchen sich beide Messen ebenfalls keine Sorgen zu machen: „Premium“ hat die Angebote, seine Messe auch in London und Lissabon auszurichten, zwar vorerst ausgeschlagen, die „Bread & Butter“ debütierte vor zwei Wochen allerdings auch in Barcelona. Zum Abschluss dieses Gastspiels konnte sich der treue Besucher noch einen Platz auf einem eigenen „Bread & Butter“-Partydampfer nach Ibiza reservieren.

Es scheint, als hätten die „Bread & Butter“-Macher stärker als andere Modemessen verstanden, ihre Veranstaltung selbst zu einer Marke zu stilisieren: Die „Bread & Butter“ sucht regelmäßig den Anschluss an die Clubszene der Städte, Musikmagazine übernehmen tagsüber die Patenschaft für das Musikprogramm, es gibt ein eigenes Magazin. Da fällt es gar nicht weiter ins Gewicht, dass man sich fragen könnte, was bei einer „Tradeshows for selected brands“ – so die Unterzeile der Messe – bei 600 Ausstellern überhaupt noch „selected“ sein kann: Das Wort funktioniert genauso wie das Exklusivitätsverständnis der auf der „Bread & Butter“ präsentierten Streetwear, in einem Paradox aus gefühlter Einzigartigkeit und tatsächlicher Uniformität. Klaus Wowereit attestiert der Veranstaltung im Bread & Butter Bulletin: „Bread & Butter ist eine typische Berliner Erfolgsstory.“

Typisch scheint diese Story derweil keineswegs, denn von drei der Modemessen, die im Januar in Berlin neu gestartet waren, gibt es nur wenig Gutes zu vermelden: Die „Euro Fashion Week“ in der Backfabrik, die sich auf junge Designer aus Osteuropa spezialisieren wollte, wurde aufgrund mangelnder Besucherzahlen und stornierter Ausstelleranmeldungen auf Januar 2006 verschoben, die „Fame“ im Sony Center am Potsdamer Platz, eine Messe für HipHop-Mode, wurde abgesagt, und die „Luxury Trade Show“, eine von aus Paris stammenden Organisatoren im Frank-O.-Gehry-Bau am Pariser Platz initiierte Schau, war – trotz strategisch gewählter Nähe zur „Premium“ – nicht erfolgreich genug: „Der Luxusmarkt ist mit dem Image der Stadt Berlin noch nicht assoziiert“, heißt es aus Paris. Als einzige der neu gestarteten Messen geht nun also die „B-in-Berlin“ in die zweite Runde – und macht mit der Ausrichtung auf konventionelle Massenware der etablierten Düsseldorfer Modemesse CPD Konkurrenz.

So ist es also mal wieder das Schicksal von Berlin, sich im Rest der Republik unbeliebt zu machen: War die ursprünglich 2001 in Köln gestartete „Bread & Butter“ schon nicht ganz unschuldig daran, dass die traditionelle Kölner Messe für Streetwear „Interjeans“ aufgeben musste, und war man in Hamburg vermutlich nicht gerade glücklich darüber, dass die „Spirit of Fashion“ irgendwann Berlin als Standort bevorzugte, fühlt man sich nun auch in Düsseldorf von der Hauptstadt bedroht. Und zwar so akut, dass die CPD nun in Berlin Karten verteilen wird, auf denen zu lesen ist: „Wenn sie nicht nur Butter aufs Brot wollen – das Geschäft mit der Mode wird in Düsseldorf gemacht.“

Dies spricht nicht nur für einen einigermaßen hohen Grad der Verzweiflung: Dass mit diesem Spruch anstelle der Konkurrenz „B-in-Berlin“ die „Bread & Butter“ attackiert wird, verdeutlicht, wie stark diese mit ihrer dominanten Trademark mittlerweile das gesamte Modegeschehen Berlins überschattet. Die „B-in-Berlin“ selbst kämpft derweil noch um ein jugendlicheres Profil. Ihr Claim „Mehr Schönheit für alle!“ und das Ausrufen eines „B-in-Berlin“-Film-Awards, bei dem junge Filmemacher dazu animiert werden, in Kurzfilmen Adidas-Trainingsjacken in Szene zu setzen, wirken da allerdings rechts aussichtslos.

So tauchen wieder einige Fragen auf: Ob Berlin auf seinem Weg zur Modemetropole mit der Absage der drei Messen einen Rückschlag erlitten hat? Ob die Barcelona-Ausgabe der „Bread & Butter“, die bei ihrem Debüt vor zwei Wochen bereits mehr Besucher anzog als ihre Berliner Mutter, möglicherweise Berlin den Rang ablaufen wird? Ob man den halbjährlich wiederkehrenden Mode-Ausnahmezustand in der Stadt nicht allmählich mal unter einem Namen bündeln sollte? „Fashion Weekend Berlin“ würde sich anbieten – eine ganze Woche, wie bei der „London Fashion Week“, ist es ja nicht.

Fragen, die man sich mit Sicherheit noch stellen wird, wenn am Montag die Stände in den Hallen wieder auseinander geschraubt sind und sich all die hektischen Händler und Einkäufer längst wieder verabschiedet haben. Dann also, wenn es für in Modebelangen unbedarfte Berliner, die ein Wochenende lang das seltsame Gefühl nicht los wurden, irgendwie schlechter angezogen zu sein als sonst – Berliner wie Sie vielleicht? –, wieder heißt: aufatmen.