piwik no script img

Fast ganz zufrieden

Dem Langstreckenschwimmer Thomas Lurz fehlen nach 10 Kilometern gerade mal 10 Meter zum zweiten WM-Titel

MONTREAL taz ■ Die Haarnadelkurve des „Circuit Gilles Villeneuve“ ist ein Mekka des Ausdauersports in diesen heißen Sommertagen. Auf der Formel-1-Rennstrecke von Montreal tummeln sich Inline-Skater und Radfahrer, knapp dahinter, auf der Olympia-Ruderstrecke von 1976, gehen Langstreckenschwimmer ihre Passion nach. Eigentlich bietet das ein ganz beschauliches Bild – wenn es bei den Dauerkraulern nicht manchmal zugehen würde wie beim Unterwasserrugby. Vor allem wenn die Richtung gewechselt wird, werden Hände, Füße, Ellenbogen und Knie fachfremd eingesetzt. In einer dieser wässrigen Haarnadelkurven hat der Würzburger Thomas Lurz die Chance verpasst, der erste Doppelweltmeister bei der Schwimm-WM in Montreal zu werden.

Der 25-Jährige studiert Sozialarbeit, ist gut erzogen und weiß deshalb, wie er sich zu benehmen hat. Wutausbrüche sind ihm fremd, Lurz liebt die sachliche Analyse. „In der letzten Runde habe ich an der Boje den Anschluss verpasst“, sagte er, „der Amerikaner hat innen schnell angezogen, und die Lücke habe ich dann nicht mehr schließen können.“ Das Ergebnis dieser kleinen Unachtsamkeit: Der US-Amerikaner Chip Peterson (1:46:38,1 Stunden) gewann die zehn Kilometer vor Lurz (1:46:45,2) und dem Bulgaren Petar Stoychev (1:46:50,4).

Peter Lurz, Vater und Betreuer des Freistilschwimmers, der zum WM-Auftakt den Titel über fünf Kilometer gewonnen hatte, verzweifelte in dieser Rennphase beinahe. Auf dem Fahrrad entlang der Ruderstrecke unterwegs, sah er genau, was da geschah. „Das Loch ist zu groß“, habe er bei sich gedacht, „das schafft er nicht, schließlich sind wir hier bei der WM und nicht bei der Bezirksmeisterschaft.“ Väterliche Intuition. Aber dem durchgeschwitzten älteren Herrn gelang es genau so gut, die Fassung zu bewahren: „Eigentlich war seine Leistung absolut zufriedenstellend.“

Schwimmtechnisch betrachtet hatte die Silbermedaille von Thomas Lurz einen einfachen Grund: Weil er nach links atmet, muss er bei links herum führenden Rennen immer rechts außen schwimmen, um das Feld der Konkurrenten im Blick zu behalten. „So schwimmt er mit Sicherheit 20 Meter mehr“, sagt der Vater. Am Ende hatte Lurz knapp zehn Meter Rückstand.

Mit zwei Titeln hätte Thomas Lurz der Star dieser ersten WM-Woche werden können. Mit Gold und Silber war der bescheidene Würzburger, der zu Hause von Bruder Stefan trainiert wird, zu „99,9 Prozent“ zufrieden – und musste schließlich noch einmal fürs Fernsehen die Umarmung mit der Bronze-Schwimmerin Britta Kamrau nachstellen.

Am heutigen Freitag reist der Lurz bereits zurück nach Deutschland, um in Potsdam für Eurosport die Beckenwettbewerbe mit zu kommentieren. Lieber wäre er selbst noch einmal ins Wasser gesprungen – über die 1.500 Meter. Allerdings gibt es seit vier Jahren eine Regel im Deutschen Schwimm-Verband (DSV), wonach die Ausdauerexperten nicht im Becken und im freiem Wasser antreten dürfen. „Vielleicht liegt mir das freie Wasser besser“, sagt Thomas Lurz – aber es klingt nicht überzeugend. Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin war er die 1.500 Meter gerade so geschwommen, dass er die Qualifikationsnorm nicht geschafft hat. Vater Peter wird angesichts dieses Anachronismus deutlicher. „Das kann ich nicht nachvollziehen“, sagt er, „zwischen 10 Kilometern und 1.500 Metern liegt eine Woche Pause, und mit dem Weltmeisterschaftstitel im Rücken wäre bei Thomas viel möglich gewesen.“

Im Sinne seines Sohnes hat er sich in dieser Sache bereits mit DSV-Präsidentin Christa Thiel unterhalten. So lange die Regel bleibt, bleibt das Dilemma: Lurz wird weiter ein Wanderer zwischen Becken und offenem Gewässer sein. Für Peking 2008 konzentriert er sich auf die 1.500-Meter-Strecke. Und wenn das 10-km-Schwimmen 2012 in London olympisch wird – die Chancen stehen offenbar nicht schlecht –, hoffen Vater und Sohn, dass die unsinnige DSV-Regel abgeschafft ist. Denn mit 32 ist Thomas Lurz selbst dann noch im besten Langstreckenalter. JÜRGEN ROOS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen