die woche in berlin
:

Alle Schulen auf oder zu oder lieber Klassen halbieren und abwechselnd in der Schule oder zu Hause beschulen? Wenn doch auch die Planungen für die Kältehilfe so laufen würden wie beim angekündigten Impfstoff! Und das Sanierungsvorhaben zur Mühlen­dammbrücke wirft allerhand Fragen auf.

Nicht wieder alle vors Tablet setzen

Erhitzte Diskussion über geöffnete Schulen

Es sind beunruhigende Tage. Den Infektionszahlen beim täglichen Wachsen zuzusehen ist beängstigend. Für die LehrerInnen und ErzieherInnen in den Schulen und Kitas gilt das noch viel mehr, denn es sind die Kitas und Schulen, die geöffnet bleiben. Unter den Schulleitungen in Berlin wird nun der Ruf nach einer Rückkehr in den Wechselbetrieb lauter – also zurück ins Homeschooling, im Wechsel mit Unterricht in der Schule. So könnte man die Klassen halbieren und die Abstandsregeln einhalten. Für die Kitas fordert die Gewerkschaft GEW einen verbindlichen „Stufenplan“, damit Kitaleitungen bei Quarantänemaßnahmen und Schließungen gegenüber den Eltern besser argumentieren können.

„Unsere Lehrkräfte fühlen sich angesichts der voll besetzten Klassen wie Kanonenfutter“, hat ein Schulleiter der taz diese Woche gesagt, und ist da ganz auf Linie der Gewerkschaft: „Die Beschäftigten in den Schulen haben den Eindruck, dass Infektionen an den Schulen billigend in Kauf genommen werden“, schreibt diese – und schürt bei Eltern die Angst vor einem zweiten „kompletten Lockdown“, wenn man jetzt nicht handele.

Dass die Gewerkschaft Lobbyarbeit für ihre Mitglieder macht, ist nachvollziehbar. Wobei die Argumentation nicht immer stringent ist: Im Fall der Kitas kritisiert die GEW, dass Kitaleitungen allein über Quarantäne entscheiden müssten, ein Stufenplan soll her, analog zu dem, der in den Schulen gilt. In den Schulen hält man genau den für hinderlich, da findet man eine pauschale Regelung besser.

Ob die aber wirklich angezeigt ist? Bei aller verständlichen Besorgnis derzeit: Obwohl die Schulen seit Anfang August im regulären Betrieb sind und die zweite Welle schon eine Weile rollt – es sind gerade mal rund 3 Prozent der SchülerInnen an allgemeinbildenden Schulen derzeit in Quarantäne, nur 0,2 Prozent waren nach den letzten Zahlen der Bildungsverwaltung positiv getestet.

Es spricht also einiges dafür, dass man bei der Taktik bleibt, nur betroffene Lerngruppen in Quarantäne zu schicken: Gerade in den Schulen kann man Infek­tions­ketten gut rückverfolgen – wer mit wem wie lange zusammensaß, ist qua Stundenplan definiert. Warum also pauschal 331.000 SchülerInnen wieder zu Hause vors Tablet setzen (und sei es für die Hälfte der wöchentlichen Stundenzahl, das ist schon viel), wenn in manchen Bezirken wie in Pankow noch vergangene Woche nur drei Lerngruppen überhaupt wegen Covid-19 in Quarantäne waren?

Homeschooling, das ist oft genug wiederholt worden im Frühjahr, benachteiligt in aller Regel Kinder ohne Ressourcen zu Hause – und da geht es nicht nur um internetfähige Tablets. Da geht es auch um Gewalt in Familien oder fehlenden Raum zu Hause – gerade in einer Großstadt. Schule, das ist so, ist auch eine Sozialstation, ein geschützter Raum, ein Warnmelder. Insofern sollte man sich den lautstarken Ruf nach einem Schul-Lockdown light gut überlegen, Lobbyinteressen hin oder her. Anna Klöpper

Bekanntlich ist es jetzt auch tagsüber kalt

Nicht so generalstabsmäßig: Kältehilfe in Coronazeiten

Es ist schon merkwürdig, wie die Politik mit den verschiedenen Facetten dieser Pandemie umgeht. Kaum wird am Montag gemeldet, dass ein erster Impfstoff erfolgversprechend ist, verkündet die Landesregierung nur einen Tag später, dass man für Berlin genau sechs Impfzentren braucht und wer sie bauen soll, dass man pro Tag 20.000 Menschen impfen wird, ­Vivantes die Spezialkühlschränke besorgt und die Bundeswehr helfen soll. Kurz: Binnen 24 Stunden eine top generalstabs­mäßige Planung – obwohl man noch nicht mal weiß, wann der Impfstoff kommt.

Aber eine Antwort auf die Frage, wo die Obdachlosen in der kalten Jahreszeit hinsollen, um sich aufzuwärmen, wenn coronabedingt die meisten Tagesangebote – wie Wärmestuben, Suppenküchen – nicht oder nur sehr eingeschränkt weiterbestehen, hat man noch immer nicht. Obwohl das Problem seit über einem halben Jahr absehbar war.

Natürlich muss in einer Krisenzeit viel improvisiert werden – und in der Obdachlosenhilfe hat man das seit März fleißig getan. Aber Suppenküchen und Kleiderkammern können nicht den ganzen Winter draußen stattfinden, noch weniger kann man im Freien duschen, Wäsche waschen oder ausruhen. Und so nett es ist, dass jetzt für die Nacht drei Hotels für Obdachlose angemietet werden– eine Lösung für den Tag und für alle andern, die in der üblichen Notunterkunft schlafen müssen, ist es nicht.

Aber warum spinnt man die Hotel-Idee nicht einfach konsequent weiter, wie es manche schon im Frühjahr gefordert haben? Warum nutzt man nicht all die Hotellerie-, Gastro- und Amüsierbetriebe, die pandemiebedingt wenig bis nichts zu tun haben, dafür aber ganz schön Staatsknete für den Verdienstausfall bekommen, für den Dienst an der guten Sache, sprich: zur Versorgung der Ärmsten der Armen?

Die Antwort ist klar: Oberste Priorität der Politik ist nicht eine Lösung des Pro­blems (sonst würde man den Menschen ja günstigen Wohnraum besorgen oder ihnen wenigstens erlauben, leer stehende Häuser zu besetzen), sondern: die „Klientel“ wo immer es geht, an der ganz kurzen Leine zu halten. Wo kämen wir hin, wenn jede/r Obdachlose/r Wohnung oder Hotelzimmer bezahlt bekäme? Da zahlt das Amt doch lieber 30 Euro und mehr pro Nacht für ein Doppelstockbett bei der Caritas oder einem anderen Akteur der „Wohlfahrtsindustrie“. Dann hat die wenigstens gut zu tun.

Susanne Memarnia

Oberste Priorität der Politik ist nicht eine Lösung des Pro­blems, sondern: die „Klientel“, wo immer es geht, an der ganz kurzen Leine zu halten

Susanne Memarnia über Missstände der Berliner Kältehilfe in Pandemiezeiten

Ist schmal wirklich so beautiful?

Pläne für Mühlendammbrücke erhitzt die Gemüter

Hand aufs Herz, liebe LeserInnen: Wie viele von Ihnen wissen auf Anhieb, wie die Mühlendammbrücke aussieht? Nicht so viele? Kein Wunder: Die Spreeüberquerung in Mitte glänzt durch Funktionalität und Nichtwahrnehmbarkeit. Dabei befindet sich rund um die Brücke die Keimzelle der heutigen Stadt – sie war die mittelalterliche Verbindung zwischen Molkenmarkt (Berlin) und Fischmarkt (Cölln). Viel ist davon nicht übrig: Nach den Zerstörungen des Kriegs setzte die Hauptstadt der DDR auf eine breite Auto­schneise und viel Beton.

Bei aller Liebe zur Geschichte und zum genius loci: Die Mühlendammbrücke in einem Atemzug mit der Rialtobrücke oder dem Pont Neuf zu erwähnen, wie es etwa der Verein Berliner Historische Mitte tut, ist etwas verwegen. Was andererseits nicht heißt, dass es falsch wäre, sie aus der erstickenden Umarmung durch den Autoverkehr zu lösen.

Das bewegt viele Bürgerinitiativen und Vereine, aber auch Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte. Sie rieben sich in den letzten Monaten heftig an der Entscheidung der Senatsverkehrsverwaltung, die marode Brücke im Schnellverfahren durch einen Neubau zu ersetzen, der nur wenig schmaler ausfällt und dem motorisierten Verkehr weiter eine Menge Platz lässt, zwei Spuren pro Richtung.

Besonders fuchsig machte die KritikerInnen, dass es keine echte Bürgerbeteiligung gab. Insofern war es ein Feuerwehreinsatz der grünen Verkehrsverwaltung am vergangenen Montag, noch vor Auslobung des Realisierungswettbewerbs, eine virtuelle „Bürgerveranstaltung“ auszurichten: ein Kunstname, der suggerierte, dass es nicht nur um Information, sondern irgendwie auch um Mitsprache ging.

Das ist aber – rein formal und praktisch – nicht der Fall. Denn die Senatsverwaltung will unbedingt ein neues Planfeststellungsverfahren vermeiden, in dessen Rahmen eine reguläre Beteiligung stattfände. Begründung: Die Brücke ist im Kern so kaputt wie die Treptower Elsenbrücke, die nach Auftreten von Rissen über Nacht (teil-)gesperrt werden musste. Ein solches Fiasko will man im Haus Regine Günther nicht riskieren. Also baut man nach bestehender Planfeststellung: breit.

Womit die Diskussion im Grunde zu Ende ist, bevor sie angefangen hat. Aber was ist eigentlich von den Argumenten der GegnerInnen zu halten, die Brücke müsse möglichst schmal werden, weil der Autoverkehr keine Zukunft habe und auch nicht haben dürfe?

Ein bisschen skeptisch macht dieses „schmal is beautiful“ schon. Erstens, weil es zwar stimmt, dass die künftig über die Brücke rollende Tram so viele Menschen befördern kann wie zigtausende Autos – aber das auch eine abstrakte Rechnung ist, die nicht berücksichtigt, dass sich individuelle Mobilitätsstrategien („Nehm ich’s Auto oder die Tram?“) so schnell dann doch nicht ändern.

Zweitens, und das ist erheblicher: Raum ist in der dichter werdenden Stadt ein Wert, den man nicht verschenken sollte. Dass dieser Raum sich mit Autos füllen muss, steht nirgends geschrieben. Je weiter die Verkehrswende fortschreitet – und angesichts veränderter Angebote und Gewohnheiten fortschreiten kann –, desto weniger Platz braucht es auf der Mühlendammbrücke für Pkws und Lkws. Ob dieser sich für Busse, Fahrräder oder FlaneurInnen öffnet, wird in künftigen Legislaturen – und somit an der Wahlurne – entschieden. Claudius Prößer