Comic über Peggy Guggenheim: Vom Leben gezeichnet
In seiner Comic-Biografie nimmt sich Willi Blöß beide Sammelleidenschaften der Kunstmäzenin Guggenheim vor: Die Kunst und ihre Künstler.
Nur mit Unterwäsche bekleidet, sitzt Peggy Guggenheim auf dem Bett. Neben ihr liegt selig schlafend der Maler und Bildhauer Max Ernst, der just seinen 50. Geburtstag hinter sich hat. Statt sich aber ihrem Liebhaber zuzuwenden, betrachtet Guggenheim lieber dessen surrealistische Gemälde an den Wänden des südfranzösischen Hauses. Es ist das Jahr 1941, und eine Propellermaschine durchbricht die intime Szene. Das Flugzeug wird die beiden aus dem kriegstaumelnden Europa fortbringen in die USA und damit in Sicherheit.
Diese mit schnellem Strich umrissene Montage ist ein Schlüsselbild in der Comicbiografie über Peggy Guggenheim. Sie fängt zum einen die beiden Sammelleidenschaften der Kunstmäzenin ein, zwischen denen sich ihre Biografie aufspannt: die Kunst und die dazugehörigen Künstler.
Zum anderen zeigt sie den Einfluss der Sammlerin, die der Verfemung moderner Künstler durch die Nazis gezielte Ankäufe entgegensetzte. Mit ihrem Geld unterstützte sie Kubisten und Surrealisten wie René Magritte, Yves Tanguy oder Picasso, und nicht selten finanzierte sie einem Künstler die Flucht vor Verfolgung und Krieg.
Guggenheim ist die erste Kunstsammlerin in der Reihe
Die Hefte 36 „Peggy Guggenheim – die Sammlerin“ und 35 „Gauguin – Südseeträume“ sind im Buchhandel oder direkt über den Willi Blöß Verlag erhältlich. Kleinformat (10,5 x 14,8) 3,00 €
Die Comicbiografie über Peggy Guggenheim ist die jüngste in einer Reihe von weit über 30 Künstlerbiografien aus der Hand von Willi Blöß. Sie ist zugleich die erste, die sich ausnahmsweise nicht einer Künstlerin, sondern einer Kunstsammlerin widmet. Denn an der europäischen Kunstgeschichte hat die 1898 in New York geborene Guggenheim wesentlich mitgeschrieben.
Pro Jahr zeichnet der Aachener Willi Blöß ein bis zwei neue Comics über das Leben bedeutender Künstler*innenpersönlichkeiten. In der Coronazeit hat er nun gleich zwei neue Hefte vorgelegt und neben Guggenheim auch die Biografie des französischen Postimpressionisten Paul Gauguin gezeichnet.
Der Südseemaler dürfte unsere Vorstellungen von exotischen Inselwelten weit stärker geprägt haben, als uns aufgeklärten Postmodernen lieb sein dürfte. Er ist ein früher Profiteur einer sich globalisierenden Welt, verbringt seine ersten sechs Lebensjahre in Peru und fährt mit 18 zur See. Im Alter von 37, es ist das Jahr 1885, lässt er seine Familie in Kopenhagen zurück, reist nach Martinique und malt dort die ersten bunten Inselbilder, die ihn noch zu Lebzeiten berühmt machen werden.
Grafisch fügt sich das Heft über Gauguin bestens in die Comicreihe von Blöß, deckt sich die dort beschriebene Hinwendung des Malers „zu starken Farben und betonten Konturen“ doch bestens mit der unverkennbaren Handschrift des Comicautors. Denn wie in Gauguins Leben der Lockruf der schillernden Exotik auf das Schicksal von Krankheit und Siechtum traf, so wechseln sich auch im Comic farbenprächtige Inselwelten mit grauer Lebensrealität ab.
Kunstwerke subtil in Szenen eingearbeitet
In Farbgebung und teils auch im Zeichenstil zitiert Blöß oft die Malweise der jeweiligen Künstler*in. Nicht selten finden sich auch Kunstwerke subtil in die Szenen eingearbeitet und bilden dort den Hintergrund, vor dem die Künstler*innen selbst auftreten.
In den Comics über Guggenheim und Gauguin schafft es Blöß erneut, ein künstlerisches Leben und Wirken auf gerade mal 24 Seiten im Postkartenformat zu skizzieren. Er wolle keinen weiteren Band kunstgeschichtlicher Bildungslektüre schreiben, sagt er, sondern einen ungezwungenen Umgang mit Lebensgeschichten ermöglichen und mit den Comics ein Schulhoffeeling erzeugen, das ihn selbst geprägt habe.
Was ihn an den Biografien reize, sei, dass er nichts erfinden müsse: Die Held*innen, die Kulissen und Kostüme, Architektur und Technik seien durch die Lebensspanne der Künstler*in immer schon vorgegeben. Und mit deren doch oft sehr unkonventionellem Leben sei dann die letzte Zutat für eine erzählenswerte Geschichte gegeben. Die Vermittlung von Kunst ist da für Blöß eigentlich nur ein Nebeneffekt, sagt er.
Der Unbeschwertheit der Comics Raum zu geben, zugleich aber fundiert recherchierte Inhalte zu vermitteln ist eine Gratwanderung zwischen Bild und Text, Fantasie und Fakt. An erster Stelle sind es die vielsagenden und dynamischen, oftmals von Blöß’ Frau Beatriz López-Caparrós kolorierten Zeichnungen, die die Comics prägen.
Text ist auf Minimum reduziert
Der erklärende Begleittext ist auf ein Minimum reduziert und verdichtet, was den Leser*innen einige Aufmerksamkeit abfordert. „Ich hatte mal Phasen, da ist es immer mehr Text geworden“, erinnert sich Blöß. Mittlerweile besinne er sich wieder stärker auf das Zeichnen. So beherrschen große Bilder die Seiten, die oft ohne Panels auskommen und die chronologische Erzählweise der Biografien kontrastieren.
Seit dem ersten Heft zu Pablo Picasso im Jahr 2002 erscheinen Blöß’ Comics im Eigenverlag. Damals war Blöß mit seinen Biografien in Comicform noch ein Exot. Heute, nach aufwendig produzierten und großformatigen Künstlerbiografien wie der von Steffen Kverneland über Edvard Munch aus dem Jahr 2013, muss die Gattung als etabliert gelten.
Blöß bleibt dennoch beim Pocketformat, ergänzt dieses lediglich durch alternative Auflagen. So sind zusammen mit dem Leipziger Verlag KultComics mittlerweile zwölf Hefte als großformatige Hard- und Softcover erschienen. Erwähnenswert ist ein Sammelband, der fünf weibliche Künstlerinnen vereint: Camille Claudel, Paula Modersohn-Becker, Frida Kahlo, Tamara de Lempicka und Niki de Saint Phalle.
Grundwissen über Kunstgeschichte
Mit Guggenheim, Gauguin und den 34 weiteren Comicbiografien lässt sich ein respektables Grundwissen über die europäische Kunstgeschichte zwischen Renaissance und Gegenwart aneignen. Rubens ist dabei ebenso vertreten wie Joseph Beuys, Frida Kahlo ebenso wie Hieronymus Bosch.
Dabei liegt der Schwerpunkt klar auf dem bildenden Metier aus Europa und Nordamerika. Performance- oder gar Konzeptkünstler*innen bleiben in den Comics bislang ausgespart. Da die Reihe fortgeführt wird, bleibt abzuwarten, wessen Geschichte das nächste Heft erzählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos