Uwe Rada erlebt gleich zwei Lockdowns in einer Woche: Sehnsucht nach der Waldmacke
Der erste Lockdown traf mich am Montag. Er traf mich erwartet. Ich darf nun vorerst vier Wochen lang nicht mehr ins Café oder ins Olympiastadion. Ich werde es verkraften, Hauptsache die Kurve flacht wieder ab.
Ein bisschen verspürte ich sogar Vorfreude. Beim Lockdown im Frühjahr war ich auf dem Land, Homeoffice ist eine prima Sache, wenn man einen Garten hat und viel Wald drum herum. Also packte ich auch diesmal meine Sachen und fuhr in den Osten Brandenburgs. Die Stadt wird mich nur am Wochenende sehen. Blumen gießen und Briefkasten leeren, mehr habe ich da nicht zu suchen.
Der zweite Lockdown in dieser Woche traf mich unerwartet. Ich habe davon erfahren, kurz bevor sich Trump bei der US-Wahl vorfristig zum Sieger erklärt hat. Unsere Wohnung auf dem Land befindet sich laut einer Notverordnung des Landkreises Oder-Spree nun im Kerngebiet des Kampfs gegen die Afrikanische Schweinepest. Und in einem solchen Kerngebiet ist das Betreten von Wald- und Feldwegen strikt untersagt. Es war wie ein Hammerschlag. All das, was den Lockdown im Frühjahr so erträglich gemacht hat, wird es nun nicht mehr geben. Keine Abendrunde entlang des Bahndamms mehr, keine Wanderung nach Siehdichum, keine Umrundung des Großen Treppelsees, kein Gang in die Pilze.
Und kein Tourismus mehr in den betroffenen Gebieten, selbst wenn im Dezember der Corona-Lockdown wieder aufgehoben werden sollte. Denn wer fährt schon am Wochenende in ein Waldhotel, wenn er dort nicht wandern kann? Die ersten Wanderwege wurden am Donnerstag schon abgesperrt.
Jetzt ist der Wald also gesperrt, und es ist damit außer Kraft gesetzt, was bei den Deutschen, wie es der Landschaftsplaner Kenneth Anders einmal gesagt hat, eine „Waldmacke“ hervorgerufen hat: der freie Zugang in die Wälder, der in Bayern sogar Verfassungsrang hat. Vielleicht ist uns aber auch zum Verhängnis geworden, dass der Wald hier vielerorts tatsächlich noch Wald ist, manche würden sogar sagen: Wildnis. Denn in der Verordnung des Landkreises ist von „durch starke Bewaldung schwer zugängliche Regionen“ die Rede. Ein Idealer Tummelplatz war das früher für Wilderer, heute freut es die Schwarzkittel.
Als Berlin im Frühjahr den Atem anhielt, sagten viele, auch ich, warum in der Stadt sein, wenn das, was die Stadt ausmacht, nicht mehr geht. Jetzt frage ich mich, warum auf dem Land sein, wenn das, was das Land ausmacht, auch nicht mehr geht?
Die Verordnung gilt übrigens bis 15. März, das ist mehr als drei Mal so lang wie der Lockdown wegen Corona. Immerhin habe ich den Garten schon vom Laub der Ulme befreit. Mal sehen, ob das ein Trost ist.
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