: Als die Post Bananen- und Erdnusskunst brachte
Künstlerische Rollenspiele wurden vor dem Internet in der Mail Art genutzt. Daran erinnern die Ausstellungen von Anna Banana im Salon am Moritzplatz und Vincent Trasov bei ChertLüdde
Von Tilman Baumgärtel
Im Jahr 2020 folgen Abertausende von Menschen mit religiöser Inbrunst einer mysteriösen, anonymen Entität namens QAnon, die im Internet in kryptischen Botschaften „alternative Fakten“ verbreiten und politisch polarisiert. Der geschundenen Seele tut es in solchen Zeiten gut, sich auf lichtere Epochen zu besinnen, in denen mysteriöse und anonyme Entitäten noch per Post die Welt lediglich davon zu überzeugen versuchten, dass sie eine Erdnuss respektive eine Banane seien. Zwei Ausstellungen in Berlin, die die Kreuzberger Galerie ChertLüdde zeigt, bieten dazu jetzt Gelegenheit.
Der kanadische Künstler Vincent Trasov erinnert in seiner Ausstellung „My Fifty Years In A Nutshell“, die in den Räumen der Galerie zu sehen ist, an seine Verwandlung in eine Erdnuss vor einem halben Jahrhundert. Seit 1970 führt der inzwischen 73-Jährige ein Doppelleben unter dem Namen „Mr. Peanut“. Dieser Herr Erdnuss ist eigentlich die Werbefigur eines amerikanischen Lebensmittelkonzerns, die, angetan mit Zylinder, Monokel, weißen Handschuhen und Spazierstock, Nussmischungen verkaufen soll. In der Kreuzberger Ausstellung sind Zeichnungen zu sehen, die Mr. Peanut unter anderem im Stil von Pablo Picasso und Frida Kahlo zeigen.
In Nordamerika ist die anthropomorphe Hülsenfrucht eine der bekanntesten Markenzeichen überhaupt und eignete sich darum als Maske für post-dadaistische Kunstaktionen mit hohem Aufmerksamkeitswert. Deren Höhepunkt war erreicht, als Trasov 1974 im Pappmaschee-Kostüm als „Mr. Peanut“ in Vancouver als Bürgermeister kandidierte – und immerhin 2.685 Stimmen erhielt.
Das künstlerische Spiel mit Institutionen und Pseudoentitäten gehört zu wichtigsten Themen der Mail Art, einer Kunstform, bei der sich Künstler ihre Werke per Post zuschicken. Trasov war als Teil des Künstlerduos Image Bank – die im vergangenen Jahr in den Kunstwerken eine eigene Ausstellungen hatten – ein regelmäßiger Teilnehmer dieser Szene, die unter Umgehung der Kunstinstitutionen ihre Werke direkt und persönlich miteinander teilte. Und im Netzwerk der Post trieben neben Mr. Peanut noch eine ganzen Reihe anderer pseudonymen Kunstkreaturen ihr Unwesen.
Losgelöst von der Person und dem Leib ihrer SchöpferInnen konnte man sich im vergleichsweise anonymen Postaustausch als fiktive Institution darstellen oder imaginäre Identitäten annehmen – lange bevor im Internet Spammer sich als afrikanische Millionenerben auf der Suche nach einem Investitionspartner auszugeben begannen. In der Netzkultur ist das Spiel mit selbst gestalteten Pseudoidentitäten zu einer weit verbreiteten Praxis geworden, die mit Fantasienamen in den sozialen Medien beginnt und bis zu elaborierten, multimedialen Kampagnen wie bei den Youtube-Figuren lonelygirl15 oder Poppy reicht.
Sie alle können sich in gewisser Weise auf Anna Banana beziehen, die lange vor Cindy Sherman, Orlan oder Lady Gaga ihre selbstbestimmte Metamorphose zur Kunstfigur als Lebensprojekt begann. Die Kanadierin mit bürgerlichem Namen Anne Long verließ nach einem Selbsterfahrungskurs in der Psycho-Kommune Esalen in Kalifornien Mann und Kind, um sich fortan als freiberufliche Bananenkünstlerin durchs Leben zu schlagen. Ihr Spitzname, den sie in Esalen wegen ihres fröhlichen Wesens erhalten hatte, wurde zum künstlerischen Thema: Die Kunst von Anna Banana handelt oft genug von – Bananen.
Auch sie nutzte das internationale Netzwerk der Mail Art, um ihre neue Identität rund um die Welt bekannt zu machen. Auf selbst gestalteten Postkarten, Briefmarken, Stempeln, Drucken und mit dem Newsletter „Banana Rag“ verbreitete sich so die Kunde von der Bananenkünstlerin um den ganzen Globus. Ihre Korrespondenten und Fans begannen, ihr alle Arten von Bananen-Artefakten nach Kanada zu senden. Die zeigte sie 1993 bei der Ausstellung „Proof Positive Germany is Going Bananas“ in Stuttgart, Berlin, Hamburg, Uelsen, Minden, Köln und Mannheim – unter anderem wegen der besonderen Rolle, die die Banane kurz zuvor beim Untergang der DDR gespielt hatte. Die Kreuzberger Ausstellung ist darum auch eine künstlerische Erinnerung an die vor dreißig Jahren vollzogenen Wiedervereinigung.
Zu sehen sind die gesammelten Bananen in einem Reenactment der damaligen Präsentation jetzt im Salon am Moritzplatz – übrigens in dem Haus, in dem einst in der Galerie am Moritzplatz die Westberliner „Neuen Wilden“ ausstellten. In Vitrinen sind Bananen in allen möglichen Darreichungsformen zu sehen: als Schlüsselanhänger, Taschenlampen, Stecker, Schmuck, Sticker, Kühlschrankmagnet und sogar als Telefon. In ihrer Gesamtheit sind sie auch Zeugnis der sozialen Funktion von Mail Art: Ohne das umfangreiche Korrespondentennetz von Anna Banana wäre diese Sammlung nie zusammengekommen.
An der Wand hängen fünf Fotos von Bananenschalen, die man auf Fragebögen wie Rorschachtests interpretieren soll. Es ist Konzeptkunst mit Humor, und egal ob man diesen Humor teilt oder nicht, die Konsequenz, mit der sich Anna Banana und Vincent Trasov in ihre eigenen Memes verwandelt haben, nötigt ebenso Respekt ab wie die Beharrlichkeit, mit der sie diesen surrealen Charakteren ein halbes Jahrhundert lang treu geblieben sind. Ein sinnvollerer Lebensinhalt als die Beschäftigung mit den Botschaften von „Q“ war das auf jeden Fall.
Anna Banana: „Proof Positive Germany is Going Bananas“. Salon am Moritzplatz, Oranienstraße 58 Vincent Trasov: „My Fifty Years In A Nutshell“. ChertLüdde, Ritterstr. 2A
Beide Ausstellungen bis 14. November
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