Die erhoffte „blaue Welle“ blieb aus

Donald Trump hat bei der Wahl viel besser abgeschnitten, als sich das viele Demokrat*innen erträumt hatten. Auch weil Trump bei Schwarzen und Latinos zulegte

Von Bernd Pickert

Noch ist nicht endgültig klar, ob am 20. Januar Joe Biden zum ersten oder doch Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt wird. In dem Maße, wie in den noch nicht entschiedenen US-Bundesstaaten, insbesondere in Michigan und Wisconsin, die Briefwahlstimmen ausgezählt werden, schrumpft am Mittwoch der Vorsprung, den Trump zunächst erreicht hatte, zusehends.

Aber selbst wenn es für Biden zum Gewinn der Präsidentschaft letztlich doch noch reichen sollte – und es Trump nicht schafft, diesen Wahlsieg auf juristischem Wege zu torpedieren –, müssen sich nicht nur erneut die Umfrageinstitute fragen, was da eigentlich wieder falsch gelaufen ist, sondern auch die Demokrat*innen.

Denn für sie lief die Nacht schlecht. Von der „blauen Welle“, die sich viele erhofft hatten, kann nicht die Rede sein, im Gegenteil. Die wichtigen Swing States Florida und Ohio (ohne die seit John F. Kennedy kein Kandidat mehr gewonnen hat) gingen an Trump, die Hoffnungen, in Texas mitspielen zu können, erfüllten sich nicht, in Georgia und North Carolina liegt Biden hinten, und auch der Senat scheint trotz zweier demokratischer Zugewinne in Colorado und Arizona unter republikanischer Kontrolle zu bleiben.

Corona? Welches Corona?

Ganz sicher ist: Ihr Versuch, die Wahl zu einem Referendum über die Coronapolitik des Präsidenten zu machen, ist gescheitert. In Nachwahlumfragen sagte zwar eine klare Mehrheit der Befragten, dass sie mit Trumps Umgang mit Corona nicht zufrieden sind und Biden da mehr zutrauen – aber nur für eine Minderheit war Corona das wichtigste Thema. Und während 80 Prozent der Biden-Wähler*innen der Meinung waren, dass die Eindämmung des Coronavirus derzeit die wichtigste Aufgabe ist, auch wenn das auf Kosten der Wirtschaft geht, so waren 76 Prozent derer, die Trump ihre Stimme gaben, genau der gegensätzlichen Meinung: Die Wirtschaft müsse sofort wieder aufgebaut werden, meinen sie, auch wenn das die Eindämmung des Virus erschwert. Wichtigstes Thema war Corona nur für 17 Prozent der US-Wähler*innen – 35 Prozent aber gaben die Wirtschaft an. Und in diesem Themenfeld liegen Trumps Zustimmungswerte deutlich höher.

Und: Für die meisten Trump-Geg­ne­r*in­nen ist er ein offen rassistischer Präsident – aber trotz der allgemeinen Debatte über Rassismus, Polizeigewalt und Black Lives Matter war das nur für 20 Prozent der Wähler*innenschaft das wichtigste Thema. Dazu kommt: Trumps Zustimmungswerte unter Schwarzen und Latinos sind gestiegen. Manche Nachwahlumfragen sehen unter Schwarzen eine Steigerung von 8 auf 12 Prozent für Trump. Aber Nachwahlumfragen fallen je nach Institut unterschiedlich aus: Andere meinen, Trump habe schon 2016 13 Prozent der Schwarzen für sich gewinnen können, diesmal seien es gar 18 Prozent gewesen.

In Florida holte Hillary Clinton vor vier Jahren 62 Prozent der Latino-Stimmen, Biden nur 52. Das Dauerbombardement der Trump-Kampagne, bei dieser Wahl gehe es um eine Entscheidung zwischen Freiheit und Kommunismus, scheint insbesondere bei der kubanischen und venezolanischen Community massiv verfangen zu haben. Dieser Meinung waren jedenfalls viele Kom­men­ta­to­r*innen, die den Wahlkampf in Florida beobachteten.

Bidens Fehlannahme

Aus Nachwahlumfragen erfuhren sie, dass 55 Prozent der kubanischen Community Trump ihre Stimme gegeben hatten – mehr als irgendeine andere Latino-Gruppe. Fox-Analysten widersprachen – Biden habe einfach überhaupt keinen gezielten Wahlkampf unter den Latinos gemacht und sei sich nicht bewusst gewesen, dass die einzelnen Herkunftsgruppen jeweils eine ganz verschiedene Ansprache bräuchten.

Landesweit verbesserte sich Trump bei Latinos von 28 auf 32 und bei Asian-Americans von 27 auf 31 Prozent. Woran das im Einzelnen liegt, müssen weitergehende Analysen zeigen: Sicher scheint, dass die demokratische Gewissheit, Trumps rassistische Rhetorik würde ihnen die Stimmen quasi von allein zuspielen, sich nicht bewahrheitet hat. Unter Christen holte Trump klare Mehrheiten, Katholik Joe Biden konnte selbst unter seinen Glaubensgeschwistern nur 37 Prozent der Stimmen gewinnen.

Auf Dauer werden sich die Demo­kra­t*in­nen überlegen müssen, wie sie in all diesen Gruppen zumindest einen besseren Boden unter den Füßen bekommen. Auch die alte Weisheit, dass eine hohe Wahlbeteiligung quasi ­automatisch zu demokratischen Wahlsiegen führt, sollte endlich ad acta gelegt werden: Am Mittwochmorgen schon hatten beide Kandidaten jeweils über 3 Millionen Stimmen mehr erhalten als Donald Trump und Hillary ­Clinton 2016. Trump hat die Dynamik gedreht: Hohe Mobilisierung nutzt ihm.