Für tausende bleibt nur eine Leerstelle

Jedes Jahr finden 11.000 Berliner Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Schwache Schulleistungen sind nur ein Grund. Abiturienten verdrängen Realschüler, aber auch Bewerber aus anderen Ländern konkurrieren um die wenigen Stellen

Dass der Begriff „Arbeitsmarkt“ wörtlich zu nehmen ist, müssen jedes Jahr tausende Jugendliche hautnah erfahren. Für manches fehlt auf einem Markt einfach die Nachfrage – und in diesem Fall handelt es sich eben um junge Menschen. „Es sind rund 10.000 bis 11.000 Schulabgänger, die sich jedes Jahr in der Warteschleife befinden“, sagt Hartmut Hartmann, in der Senatsbildungsverwaltung für berufsbildende Schulen zuständig. Auch zu Beginn des aktuellen Ausbildungsjahres fehlen in der Hauptstadt Lehrstellen. Das Phänomen, das Hartmann „dramatisch“ nennt, hat Tradition.

Zwar geben Lobbyverbände wie die Industrie- und Handelskammer nach eigenen Angaben ihr Bestes, um der Misere Herr zu werden – schließlich, heißt es, stehe man ja zum Ausbildungspakt. IHK-Präsident Eric Schweitzer verweist stolz auf ein Plus von 7,7 Prozent bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen im Vergleich der Jahre 2003 und 2004. Allein auch die IHK-Bemühungen, Unternehmen per Anschreiben, Telefonakquise oder persönliche Besuche zum Schaffen von Ausbildungsplätzen zu bewegen, können das strukturelle Defizit nicht beseitigen. Auch die beklagte Leistungsschwäche der Aspiranten ist nur ein Nebenaspekt.

Das hiesige Berufseinstiegssystem bietet – wie überall in der Bundesrepublik – betriebliche Lehrstellen, Berufsfachschulen und berufsqualifizierende Maßnahmen. Es gleicht einem schwer zu überblickenden Versuchsaufbau von Reagenzgläsern, die alle über Schläuche verbunden sind: Gieße ich irgendwo Schulabgänger hinein, wird es anderswo eng.

Bildungsfachmann Hartmann beobachtet zum Beispiel den Trend, dass immer mehr Abiturienten eine normale Ausbildung anstreben – und mit Real- und Hauptschülern konkurrieren. Im Jahr 2002 wurden in Berlin 21.230 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, davon besaßen rund 4.060 Azubis das Abi. Im Jahr 2004 gab es mit 21.300 nur wenig mehr Verträge, darunter waren jedoch bereits rund 4.760 AbiturientInnen – also 700 mehr.

Zudem leiden die hiesigen SchulabgängerInnen unter Image und Lage der Hauptstadt. „Sie müssen auch mit jungen Leuten aus Brandenburg oder Sachsen konkurrieren, da Berlin im Osten einer der wenigen Ballungsräume ist“, sagt Hartmann. Für die wenigen Stellen in der Veranstaltungstechnik bewerben sich auch Thüringer. Laut Hartmann ist das Berlins „besondere Dramatik“. ULRICH SCHULTE