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: Dit is ja wie ausm Fernsehn!

Platz der Luftbrücke. PladeLu. Lufti. Kurz vor 21 Uhr. Vor dem Kiosk in der Dudenstraße eine kleine Schlange. „Na, ich gehöre nicht zu denen, die im ersten Lockdown eine neue Sprache gelernt haben oder so was“, sagt die eine. „Jetzt mach dir mal nicht so einen Druck, okay?“, sagt die andere. Dann sind beide ruhig. Der Kioskverkäufer ist nicht so positiv drauf wie sonst: „Komplett dicht machen um 23 Uhr? Wenn das noch lange so weitergeht, dann kann ich hier alles einpacken und tschüss sagen.“

Es nieselt. Immer mehr Leute sagen Sätze wie: Alles wird fürchterlich. Wieder so lange keine Freunde mehr treffen? Oder: Gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Manche bestellen sich Skihosen, „dann können wir draußen lange spazieren gehen“.

Andere berichten von Kneipen mit Heizpilzen, „eine ganze Armada von Heizpilzen haben die da aufgestellt, ehrlich, da können wir nach der Arbeit hingehen“. Die einen antworten dann: „Normale Heizpilze? Das ist Scheiße für die Umwelt.“ Oder: „Elektro-Heizpilze? Ey, die Stromrechnung will ich sehen, das halten die Kneipen nicht aus.“

Der junge Mann, der oft am Lufti herumspaziert, manchmal Unverständliches und Bizarres schreit und im nächsten Moment leise und in liebevollem Ton zu sich selbst spricht oder die Umstehenden nett begrüßt, tut dies nun öfter als üblich. Die Ticks kommen häufiger.

In der Eckkneipe war in den letzten Monaten nicht viel los, jetzt ist sie noch dünner besetzt. Man sieht, wie das Gespann, das den Laden meist zusammen schmeißt, viel poliert und Boden wischt, oder: Sie schauen lange Zeit gemeinsam aus dem Fenster ins Nichts.

Ein Auto kommt angebraust. Nicht irgendein Auto, ein gelber Lamborghini. Aus dem Shisha-Café kommen fünf, sechs Leute herüber. Sie begrüßen den Fahrer, einen jungen Mann, der behutsam aussteigt. Er ist ein Riese, doppelt so lang wie das Auto hoch, der Oberkörper ist mächtig, die Beine dünn wie Stixis. Die Kumpels begutachten die Reifen, die Felgen, sie drehen langsame Runden um das Auto. Mann, Mann, Mann, Alda, Alda, Alda. Ab und zu kniet sich einer runter und streicht mit der Hand liebevoll über das Auto. Wallah! Beste! Sie freuen sich.

Mittlerweile ist die Beifahrertür geöffnet, die Kumpels setzen sich abwechselnd rein, lassen sich die Gadgets erklären. Dann kommt ein Paar vorbei, sie im Rollstuhl, er mit Bier in der Hand. Auch sie schauen sich den Lamborghini an. „Boa, was für ein Auto! Mensch, schau dir das doch mal an, Richard!“ sagt sie. „Dit is ja wie ausm Fernsehn! Und was für eine tolle Farbe. Meine Lieblingsfarbe!“

Während die Kumpels etwas irritiert zum Paar herüberschauen, kommt der Fahrer zu ihnen und sagt: „Darf isch Ihre Frau für fünf Minuten entführen?“ – „Ja bitte, ich will!“, sagt sie. „Du musst sie am besten hier anheben“, sagt ihr Partner, der Riese hievt sie vorsichtig ins Auto. Die Fenster sind auf, der Motor brüllt und sie schreit Juhu vor Glück. Sie fahren los. Als sie ein paar Minuten später um die Ecke kommen und die Frau schließlich wieder im Rollstuhl sitzt, sagt sie: „Das war so toll, das war so nett!“

Alle verabschieden sich, vielen Dank, vielen Dank, ist gut, ist gut, viel Spaß. „Lass uns schnell noch was trinken, bevor alles zumacht“, sagt sie dann fröhlich zu ihrem Partner. Aleksandar Zivanovic