Odyssee durch die Stadt

Bewohner:innen einer Unterkunft müssen umziehen, weil die Gebäude auf der Veddel abgerissen werden sollen. Betroffene Familien fühlen sich unter Druck gesetzt

Protestieren, weil sie auf der Veddel wohnen bleiben wollen: Bewohner- :innen der Unterkunft „An der Hafenbahn“ Foto: Lissy Malethan

Von Karschina Dawood
und Lissy Malethan

Vier Jahre lang lebte Hassan Alhasan mit seiner Familie auf der Veddel, in der Wohnunterkunft „An der Hafenbahn“. Die Elbinsel ist ihr Zuhause geworden, hier haben die Alhasans soziale Beziehungen und Netzwerke aufgebaut, die Kinder sind in der Nähe zur Schule gegangen. In der Unterkunft haben sie sich wohl gefühlt. Einige Familien wohnten dort seit 30 Jahren, es sind Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, man half sich gegenseitig, beim Übersetzen oder wenn jemand krank war. Denn viele der Bewohner:innen der vom städtischen Sozialunternehmen Fördern und Wohnen betriebenen Unterkunft haben keinen sicheren Aufenthaltsstatus, etliche haben mit Krankheiten zu kämpfen.

Nun wird die Unterkunft geschlossen. Weil sie in einem sehr schlechten baulichen Zustand und nicht sanierungsfähig seien, würden laut Fördern und Wohnen alle Gebäude auf dem Grundstück durch neue ersetzt. Entstehen sollen dabei Unterkünfte für Geflüchtete, Obdachlose, Student:innen und Ältere. 2024 sollen die neuen Gebäude fertig sein. Die bisherigen Bewohner:innen der 28 Wohnungen, die nun abgerissen werden – Geflüchtete und Wohnungslose –, müssen ausziehen.

Dass die Unterkunft abgerissen wird, ist laut Fördern und Wohnen seit dem Frühjahr 2019 bekannt. Wiederholt seien die Bewohner:innen brieflich und in Einzelgesprächen darüber informiert worden, dass sie in andere Wohnunterkünfte umziehen müssen. Bis September dieses Jahres hätten sie Kriterien für Orte nennen können, an die sie gerne umziehen würden. Ebenfalls Mitte September seien die Bewohner:innen schließlich mündlich über den Abrisstermin informiert worden.

Dennoch sei das Vorgehen von Fördern und Wohnen problematisch, sagt Tina Röhtig vom Stadtteilgesundheitszentrum Poliklinik Veddel. Dessen Mitarbeiter:innen begleiten die betroffenen Familien, dort bekommen sie eine professionelle Sozialberatung. Röhrig kritisiert, dass den Familien ein Rückkehrrecht und entsprechende Mietverträge nicht garantiert werden, obwohl ihnen zuvor in einem Schreiben einer Mitarbeiterin von Fördern und Wohnen zugesichert worden sei, dass Unterkunftsplätze auch im Falle einer Schließung von der Aufnahme- und Vermittlungsstelle zugeteilt würden – mit dem Ratschlag, die Angebote unbedingt anzunehmen.

Sich selbst eine Alternative auf dem Wohnungsmarkt zu suchen, sei für die betroffenen Familien schwierig, da sie von Diskriminierung betroffen seien

Aber die Alhasans und viele der anderen Bewohner:innen würden gern nach der Fertigstellung der neuen Gebäude wieder auf die Veddel ziehen. Die betroffenen Bewohner:innen fühlen sich nun unter Druck gesetzt. Erst in der zweiten Oktoberwoche seien die ersten Wohnungsangebote gemacht worden, vergangene Woche dann mussten die ersten Familien schon ausziehen, zum Teil in weit entfernte Stadtteile am Stadtrand, wie Duvenstedt oder Bergstedt. Die Alhasans leben nun in einer neuen Unterkunft, verteilt auf vier Räume. „Sie schieben uns herum wie Tiere“, sagt Hassan Alhasan.

Auch wenn die angebotene Wohnung oder der angebotene Wohncontainer keinem Wunschkriterium entsprochen habe, hätten die Bewohner:innen keine andere Möglichkeit gehabt, als das Angebot anzunehmen, kritisiert Röhrig. Denn sich selbst eine Alternative auf dem Wohnungsmarkt zu suchen, sei für die betroffenen Familien schwierig, da sie von Diskriminierung betroffen seien.

Die Poliklinik Veddel fordert Fördern und Wohnen auf, mit den Bewohner:innen zu sprechen und als soziales Unternehmen seine Verpflichtung der Stadt gegenüber ernst zu nehmen.