Wehrhafte Demokratie

Ein „Recht gegen rechts“-Report soll Chronik wie Instrument im Kampf um den Rechtsstaat sein

Nele Austermann u. a. (Hg.): „Recht gegen rechts. Report 2020“. Fischer, Frankfurt a. M. 2020, 400 Seiten, 14 Euro

Von Christian Rath

Mit Hitlergruß und „Sieg Heil“ begrüßte ein 18-jähriger Berufsschüler seine Klas­senkameraden in Halle. Ein Lehrer sah dies und erstattete Strafanzeige wegen öffentlicher Verwendung von NS-Kennzeichen. Doch die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Das Klassenzimmer sei kein öffentlicher Raum. Eine Fehlentscheidung?

Fälle wie diesen diskutiert der „Recht gegen rechts“-Report, ein Sammelwerk, das künftig jährlich erscheinen soll. Zu den acht Herausgebern gehören der Bremer Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano, der Journalist Ronen Steinke (SZ) und die ehemalige taz-Autorin Heike Kleffner. Vorbild ist der seit 1997 erscheinende jährliche Grundrechte-Report. Beide Taschenbücher erscheinen auch im gleichen Verlag, bei Fischer. Allerdings ist „Recht gegen rechts“ mit 400 Seiten doppelt so dick. An Themen war offensichtlich kein Mangel.

Die AutorInnen sind ganz überwiegend JuristInnen, die sich um verständliche Sprache bemühen. Zielgruppe ist die „kritische Öffentlichkeit“. Über das „Hakenkreuz im Klassenzimmer“ schrieb die Bremer Doktorandin Julia Gelhaar. Sie hält die Einstellung des Verfahren für falsch. Ein Klassenzimmer sei öffentlich, weil man sich hier nicht mit Freunden treffe. Das Buch enthält keine großen systematisierenden Aufsätze, sondern 47 kleinere Beiträge zu ganz konkreten Fällen und Konstellationen.

Während die Autonome Antifa den Kampf gegen rechts am liebsten selbst in die Hand nimmt, sieht der „Recht gegen rechts“-Report zunächst den Staat in der Pflicht. Er soll im Sinne der „wehrhaften Demokratie“ gegen Extremisten und erst recht gegen Gewalttäter vorgehen. Dabei wird dann aber auch viel Kritik geübt. Die Justiz lasse ihre „Instrumente zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt verstauben“, heißt es im Prolog des Buches. Gemeint sind Fälle wie eine Kundgebung unter dem Titel „Nie wieder Israel“, die das Oberverwaltungsgericht Münster noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sah.

Mehrfach werden Gerichtsentscheidungen geschildert, die zwar zur Verurteilung des Täters führten, dabei aber den rechtsextremistischen Hintergrund der Tat ignorierten. So dauerte es nach der Tötung von neun jungen Menschen im Münchener Olympia-Einkaufszentrum 2016 rund drei Jahre, bis die Behörden von einem rechtsradikalen Hassverbrechen ausgehen.

Das Motto „Recht gegen rechts“ soll auf möglichst vielen Ebenen exekutiert werden. Rechtsextremisten sollen ihren Beamtenstatus verlieren, ihren Arbeitsplatz ebenso und in Hotels Hausverbot erhalten. Zur vielbeschworenen Vielfalt der Gesellschaft gehören Rechte offensichtlich nicht dazu. Die Autorin Cara Röhner freut sich, dass es an der Uni Frankfurt am Main einen „Leitfaden für den Umgang mit rechts auffälligen Personen“ sowie eine „zentrale Meldestelle“ für konkrete Vorfälle gibt. Einige Aufsätze betonen allerdings auch, dass selbst Rechtsradikale Grundrechte haben.

Aber es wird auch die umgekehrte Konstellation geschildert, dass Rechte ihre Positionen nutzen, um gegen Andersdenkende vorzugehen, etwa wenn AfD-Polizisten in Frankfurt (Oder) eine haltlose Strafverfolgung gegen grüne Lokalpolitiker initiieren oder ein rechter Staatsanwalt in Gera gegen das Kunstkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ als kriminelle Vereinigung ermittelt. Hier wird es im nächsten Report sicher noch viele weitere Beispiele geben. Wie sollen BürgerInnen und insbesondere Angehörige von drangsalierten Minderheiten der Polizei vertrauen, wenn man sich dort in Chatgruppen über NS-Anspielungen und rassistische Cartoons amüsiert?

Der „Recht gegen rechts“-Report ist zugleich Chronik wie auch Instrument im Kampf um den Rechtsstaat. Er beschreibt Symptome der zunehmenden Polarisierung und hält es für richtig, diese zu verschärfen, jedenfalls solange die Justiz auf der richtigen Seite steht.