berliner szenen
: Wer den Cent nicht ehrt

Als ich klein war, bekam man für 30 Pfennig eine Kugel Eis. Oder drei Lakritzschnecken. Oder drei Tütchen mit Sammelbildern. Heute ist ein ähnlich beglückendes Kauferlebnis für 30 Cent ziemlich schwierig. Und so ist es nur wenig verwunderlich, dass mein 14-Jähriger Kleingeld, nun ja – nicht richtig ernst nimmt. Theoretisch weiß er, dass eine Hand voll Kupfermünzen auch einen Wert hat. Aber meistens lässt er sie irgendwo in seinem Zimmer liegen und behauptet, sein aktuelles Guthaben reiche nicht für eine Packung Kaugummi oder ein zuckerhaltiges Kaltgetränk. „Voll peinlich, das mit 5-Cent-Stücken zu zahlen!“ Nun ja.

Hin und wieder nahm ich eine Tüte Kleingeld mit zur Post. Dort gibt es seit einiger Zeit einen tollen Automaten, in den man nach Einschub der EC-Karte alle Münzen einwerfen konnte. Die Gesamtsumme landete dann auf dem Girokonto. Gute Sache. Seit einiger Zeit nehmen die Automaten nichts mehr an. Heute nun ein Hinweiszettel: Die Geräte seien leider sehr störanfällig. Man wolle mir aber vernünftigen Service anbieten. Deshalb könne ich jetzt „bis zu 50 Münzen“ am Schalter abgeben. Schon länger habe ich eine Tüte Kleingeld in der Tasche. Das wird sich jetzt ändern! „Guten Tag, ich möchte gerne Münzen abgeben. Am Automaten steht, dass Sie das hier annehmen.“ Kritisch schaut die Schalterdame auf meine kleine Tüte: „Ja, aber nicht so“, sagt sie. „Wir nehmen die nur gerollt an.“ Äh? Es geht ein bisschen hin und her, bis ich verstehe, dass ich mit einem speziellen Münzenrollpapier jeweils 50 gleiche Geldstücke zusammenrollen muss. Sie kramt umständlich nach dem Papier. An einem der Tische zähle ich mein Geld. Ich habe ein paar Fünfer, ein paar Einer – und 46 Zwei-Cent-Münzen. Tja, da muss ich wohl noch ein bisschen sammeln. Vernünftigen Service stelle ich mir anders vor.

Gaby Coldewey