Kostbare Schienbeintritte

Zum ersten Mal nimmt das Münsteraner Stadtmuseum Eintritt. Die Ausstellung „805: Liudger wird Bischof“ schreibt mit teuren Edelartefakten schließlich die Entstehungsgeschichte der Stadt neu

AUS MÜNSTERMARCUS TERMEER

Am 1.200-jährigen Jubiläum kommt in Münster niemand vorbei. Das Bistum wird nicht müde, die Zeit seines Bestehens als “Liebesgeschichte“ zu verklären. Neben unzähligen Veranstaltungen gibt es auch drei mehr oder weniger spektakuläre Ausstellungen. Die Domkammer präsentiert „Kirchenschätze“ und im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte sind Skulpturen der „Brabender“ vom Übergang des Spätmittelalters zur Renaissance sehen. Am interessantesten aber ist die Schau „805: Liudger wird Bischof“ im Münsteraner Stadtmuseum. Sie folgt den Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster.

Interessant ist die historisch-archäologische Ausstellung nicht allein wegen der 800 kostbaren karolingischen Exponate – Handschriften und Miniaturen sowie sakrale Kunstwerke, Schreine und Evangeliare aus Gold und Elfenbein, die aus sechs europäischen Staaten zusammengetragen wurden. Auch nicht nur wegen den aufwändigen Inszenierungen. Die dienen mit den archäologischen Funden zu nichts Geringerem, als zur Illustration „der revolutionären Seite der Archäologie“, sagt Gabriele Isenberg, Direktorin des Westfälischen Museums für Archäologie und Landesarchäologin von Westfalen-Lippe. In erster Linie gehe es darum „der Geschichtsschreibung vors Schienbein zu treten“.

Denn das bis vor kurzem gängige Geschichts-Bild zeigt, wie die sächsische Wallsiedlung „Mimigernaford“ im 8. und 9. Jahrhundert fränkisch erobert und zur “Domburg“ Monasterium – dem späteren Münster – christianisiert wird. Das aber sei falsch. „Mimigernaford“ war vielleicht ein Gehöft an ganz anderer Stelle und „Monasterium“ eine Neusiedlung in freier Landschaft, obwohl das Kirchenrecht das eigentlich nicht zuließ. Und es entsprach nicht dem Standard eines vierflügeligen Großklosters. Die wissenschaftliche Basis für den Schienbeintritt liefert das „Dombau-Projekt“. Obwohl es seit den 1960er Jahren einige Ausgrabungen gegeben hatte, wurden diese nie systematisch ausgewertet. Das hat die Archäologin Alexandra Pesch nun nachgeholt und zu den ungewöhnlichen Ergebnissen sortiert.

Zwar ist die Ausstellung weitgehend zugeschnitten auf den Missionar und ersten Münsteraner Bischof Liudger, gemäß des gängigen Mottos, eine Personalisierung von Geschichte erhöhe das Publikumsinteresse. Aber, und das macht das Ganze interessant, die Schau bemüht sich ebenso um die Visualisierung von Sozial- und Alltagsgeschichte, schildert die Umbrüche des Gesellschafts- und Machtgefüges und der neuen Kultur durch das Christentum. Dieser „Kulturschock“ lässt sich materialisieren: So kannten die “heidnischen“ Sachsen bis dahin weder eine Geldwirtschaft oder Steinhäuser, noch eine Schriftsprache. Und so bedeutende kulturelle Praktiken wie die Bestattungsriten wurden gleich komplett umgekrempelt.

Ohne die neuen historischen Erkenntnisse und ihre Wirkung auf die Geschichtsschreibung wären die hochrangigen Leihgaben nicht nach Münster zu holen gewesen. Das Stadtmuseum nimmt dafür auch zum ersten Mal moderaten Eintritt. Das soll allerdings „kein Dammbruch“ sein, sondern ein einmaliger Vorgang bleiben, versichert die Museums-Chefin Barbara Rommé. Es sei eben „wegen der hohen Versicherungssummen für die gezeigten außergewöhnlichen Kostbarkeiten notwendig“.

Noch bis 11. September 2005Infos: 02 51-4924503