wie machen sie das?
: Die Grafologin

Sulamith Samuleit arbeitet als Lehrerin, Grafologin und Schreibbewegungsthera­peutin in Berlin.

taz am wochenende: Frau Samuleit, Sie analysieren die Handschrift von Menschen, wie machen Sie das?

Sulamith Samuleit: Ich habe eine Ausbildung zur Grafologin gemacht und gelernt, wie man über die Handschrift viel über den seelischen Zustand und die Entwicklung eines Menschen erfahren kann. Es gibt auch Erwachsene, die über Jahre und Jahrzehnte eine sehr konstante Handschrift pflegen. Aber vor allem bei Kindern, die gerade erst das Schrei­ben lernen, verändert sich die Handschrift permanent. Die müssen ja erst mal ihre eigene Handschrift entwickeln.

Bedeutet eine unordentliche Handschrift denn gleich einen chaotischen Charakter zu haben?

Eine Person mit einer unordentlichen Handschrift ist häufig jemand, der sich spontan und impulsiv verhält. Ein Mensch mit einer sorgfältigen Schreibweise ist eher jemand, der ein geregeltes und angepasstes Leben führt.

Kann man auch an der Schreibbewegung etwas ablesen?

Die Schreibbewegung und der Druck, den ein Mensch beim Schreiben ausübt, sagt viel über die Vitalität des Menschen aus, also wie viel Energie jemand mitbringt. Auch kann man sehen, ob diese Energie frei fließen kann oder ob sich da etwas staut. Man kann ablesen, ob ein Mensch mit sich und der Welt klarkommt, ob Ängste ihn in eine hemmende Blockade treiben oder ob jemand unruhig und unkonzentriert ist.

Bei Kindern spricht man häufig von „Notsignalen“. Was ist das?

Notsignale findet man vor allem bei der Handschrift von Schülern und Jugendlichen in der Pubertät. Wenn ein Schüler Wörter immer wieder durchstreicht, neu schreibt, und man es hinterher noch schlechter lesen kann als vorher, dann ist das ein Zeichen für Verunsicherung. Das zeigt, dass der Jugendliche ein starkes Bedürfnis nach Selbstkontrolle hat, das er aber nicht erfüllen kann. Ein anderes Notsignal wären etwa sehr weite Wort- und Zeilenabstände. Wenn einzelne Wörter oder Buchstaben wie Inseln verloren im Raum stehen, dann zeigt das eine depressive Tendenz.

Wie reagiert man auf Notsignale?

Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich, aber man kann schauen, ob man therapeutisch helfen kann. Die Grafologie ist eng mit der Schreibbewegungstherapie verknüpft. Als Grafologin diagnostiziere ich die Handschrift, und als Schreibtherapeutin versuche ich, mit bestimmten Übungen Hemmungen und Krämpfe in den Händen zu lösen. Dabei werden etwa Kringel und Kurven über große Flächen gemalt. Die Schreibbewegungstherapie ist aber nicht nur für Kinder und Jugendliche relevant. Sie kann zum Beispiel auch Schlaganfallpatienten helfen. Interview: Sabina Zollner