die woche in berlin
: die woche in berlin

Der Abschlussbericht zu den Ermittlungen in der Neuköllner Anschlagsserie zeigt vor allem, wie wenig die Polizei bisher weiß – oder wissen will. Die neuen Corona-Auflagen des Senats dürften den BerlinerInnen die Feierlaune tatsächlich vermiesen. Die Preissteigerungen bei Bus und Bahn sind indes bei genauerem Hinsehen nur halb so wild

Verlorenes Vertrauen in Neukölln

Die Polizei tritt bei der Terrorserie auf der Stelle

Die Neonazis, die mutmaßlich hinter der rechtsextremen Terrorserie von Neukölln stecken, fühlen sich sicher. Das untermauert auch der am Montag im Innenausschuss vorgestellte Abschlussbericht der Sonderermittlungsgruppe BAO Fokus ein weiteres Mal. Er zeigt auch, dass das Misstrauen gegen die Polizei durch die Opfer der Serie, allesamt Menschen, die sich gegen rechts engagieren, mehr als berechtigt ist. 42 Polizeibeamt:innen sollen zeitweise an der anderthalbjährigen Sonderkommission beteiligt gewesen sein, gebracht hat dies dennoch wenig bis nichts.

Die Polizei kommt bei der Aufklärung der Terrorserie nicht weiter. Es braucht nun einen unabhängigen Untersuchungsausschuss, um zu klären, welche Verbindungen von Tätern zu Polizeibeamten bestanden haben, warum Informationen nicht weitergeleitet wurden und warum die Ermittlungen derart auf der Stelle treten.

Immerhin hat die Polizei in ihrem ­Abschlussbericht mittlerweile selbst fest­gestellt, dass sie den Täter längst auf frischer Tat hätte ertappen können. Sie hatte bei dem Anschlag auf das Auto des linken Kommunalpolitikers Ferat Kocak alle dazu nötigen Informationen. Es heißt, die Erkenntnisse seien nicht schnell genug zusammengezogen worden, deswegen sei es zu diesem Fehler gekommen. Es hätte eine Gefähr­deransprache geben müssen, ebenso hätte die Polizei Kocak warnen müssen.

Doch damit nicht genug. Dass die Hauptverdächtigen der Anschlagsserie auch nach anschließenden Wohnungsdurchsuchungen sich immer noch sicher fühlten, zeigt eine laut RBB in den Ermittlungsakten befindliche Aussage eines der Hauptverdächtigen, Tilo P. Ein paar Tage nach dem Anschlag auf Kocak soll P. einem LKA-Beamten nach der Vernehmung gesagt haben: „Wir wissen doch alle, wer die Autos anzündet. Sie wissen das, ich weiß das, alle anderen wissen das. Aber keiner kann es T. nachweisen.“

Weil die Täter sich weiter sicher fühlen, sind es die Betroffenen noch immer nicht. Sie haben auch allen Grund dazu, sich nicht sicher zu fühlen. Denn die Anschlagsserie reißt noch immer nicht ab, und Verbindungen zwischen Tätern und der Polizei hinterlassen immer wieder Fragezeichen. Erst am Donnerstag wurde durch eine ARD-Recherche bekannt, dass sich 25 Beamt:innen einer Berliner Wache Chatnachrichten mit rechtsextremen Inhalten geschickt haben sollen.

Die Betroffenen der Neuköllner Anschlagsserie nannten den Abschlussbericht der BAO Fokus am Mittwoch ein „Armutszeugnis“. Mittlerweile sei nicht nur das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden erschüttert, sondern auch in die Glaubwürdigkeit der politisch Verantwortlichen. Es ist indes kaum zu erwarten, dass die von Geisel angestrebte externe Sonderkommission das Vertrauen wiederherstellen kann. Dafür bräuchte es größtmögliche Transparenz und natürlich auch das: Ergebnisse. Das Einzige, was das Vertrauen der Betroffenen wirklich wiederherstellen kann, ist ein Untersuchungsausschuss. Nur dieser kann transparente Aufklärung unter den Augen der Öffentlichkeit und unter Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen wie etwa der Mobilen Beratung gegen rechts leisten. Gareth Joswig

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Die Verbindungen zwischen Tätern und der Polizei hinterlassen immer wieder Fragezeichen

Gareth Joswig über die Aufarbeitung der rechten Anschlagsserie in Neukölln

Die Angst vor dem Populismus der Länder

Senat verschärft als erstes Land Corona-Auflagen

Es ist nicht ganz klar, was Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in Richtung der Coronapolitik des Senats genau gesagt hat. „Es muss in Berlin etwas passieren“, wird sie von der dpa zitiert, doch die Videokonferenz des CDU-Präsidiums war keineswegs öffentlich. Nichtsdestotrotz kam die Botschaft an. Am Dienstagabend ging Rot-Rot-Grün weit über die Vereinbarungen der Länderschalte zuvor hinaus und verschärfte die Coronaregeln für Berlin. Für private Feiern gilt ab diesen Samstag eine Obergrenze von 50 Teilnehmern, in geschlossenen Räumen von 25. Im Büro ist künftig vorgeschrieben, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wenn man sich nicht an seinem direkten Arbeitsplatz aufhält.

Grund für das Vorpreschen des Senats war sicherlich die oft zögerliche Haltung zu Anfang der Pandemie, vor allem aber die stark gestiegene Zahl von Fällen in mehreren Innenstadtbezirken. Am Tag nach der Entscheidung sprang eine der Berliner Coronawarnampeln – die den Durchschnitt aller Bezirke aufzeigt – auf Rot. Pro 100.000 EinwohnerInnen hatten sich in den vorherigen sieben Tagen 30,2 Menschen nachweislich mit Corona infiziert.

Die Entscheidung des Senats, insbesondere die Maskenpflicht auf der Arbeitsstelle, stieß bei Opposition und auch der Wirtschaft auf Kritik. Doch der Senat hatte schon länger mit dieser Überlegung gespielt. Problematisch daran ist – wie auch bei den privaten Feiern – vor allem die Frage, wer die verstärkten Auflagen überhaupt kontrollieren soll.

Dennoch rang sich Rot-Rot-Grün nun dazu durch – und wurde dabei wohl auch von der Angst getragen, dass, anders als von Berlin vorgesehen, zumindest in der bundesweiten Debatte einzelne Bezirke der Stadt von anderen Landesregierungen als Risikogebiet eingestuft werden könnten. Dann könnten dort lebende Menschen mit Auflagen, etwa beim Herbsturlaub in Bayern oder an der Ostsee, versehen werden – während Menschen, die eine Berliner Straße weiter wohnen, einfach einreisen könnten.

Das klingt in mehrerer Hinsicht absurd und es würde wohl sogar den Betrieb des Bundestags lahmlegen, wenn alle ParlamentarierInnen nach einer Sitzungswoche erst mal in Quarantäne müssten. Aber ganz unwahrscheinlich ist es nicht. Denn die Länder sind weit von einer einheitlichen Linie im Umgang mit Corona entfernt, in manchen gelten solche Einreiseauflagen seit dem Frühjahr.

Gleichwohl muss der Senat aufpassen, bei den Auflagen und Appellen die Balance nicht zu verlieren: Trotzige Gegenreaktionen können sich weder der Regierende Michael Müller (SPD) noch die BerlinerInnen leisten. Solche drohen aber, wenn jetzt Virologen und auch PolitikerInnen von den BürgerInnen zusätzlich fordern, ein Cluster-Tagebuch zu führen, sich also eventuell gefährliche Kontakte täglich zu notieren.

Natürlich ist das absolut hilfreich, um die Nachverfolgung leichter zu machen. Man darf jedoch bezweifeln, dass das eine relevante Masse umsetzt. Letztlich nähert man sich mit solchen Wünschen der Extremposition des SPD-Chefvirologen Karl Lauterbach an, alles dem Infek­tions­schutz unterzuordnen – und konterkariert damit, dass man eigentlich inzwischen genug weiß über die Bekämpfung des Virus, um solche Extrempositionen nicht mehr vertreten zu müssen. Und auch nicht zu wollen. Bert Schulz

Erratische Kommunikation der Senatorin

Koalition streitet über verteuerte Tickets für ÖPNV

Die vermeintlichen Zumutungen entpuppen sich als recht harmlos

Der Wahlkampf hat in der rot-rot-grünen Koalition längst begonnen, auch bei der Verkehrspolitik. Der aktuelle Zankapfel heißt ÖPNV-Finanzierung: Erst vor drei Wochen hatte die SPD das Klimapaket der grünen Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther platzen lassen, mit einer nachgeschobenen und ziemlich vernichtenden Kritik an Citymaut und massiv erhöhten Parkgebühren. Wobei Erstere gar nicht beschlossene Sache ist, sondern nur als Möglichkeit gehandelt wird, um frisches Geld für den Ausbau des Nahverkehrs zu beschaffen.

Ins Paket packen wollen die Sozialdemokraten stattdessen die vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller ins Spiel gebrachte Idee eines 365-Euro-Tickets – das den Finanzbedarf allerdings erst recht nach oben treiben würde.

In dieser Woche war es dann die am Mittwoch im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) beschlossene Tarif­anpassung – sprich: Preiserhöhung – für Busse und Bahnen, die zuerst den Linken sauer aufstieß. Deren verkehrspolitischer Fraktionssprecher Kristian Ronneburg teilte mit, er halte die „Tariferhöhung im VBB für falsch. Sie wird unter den Bedingungen der anhaltenden ­Coronapandemie vor allem diejenigen Menschen zusätzlich belasten, die in sogenannten systemrelevanten Berufen tagtäglich auf den ÖPNV angewiesen sind.“ Vor allem aber erschwere sie „den von uns im Zuge der notwendigen Verkehrswende angestrebten Umstieg der Menschen vom Auto auf Busse und Bahnen“.

Bei genauem Hinsehen entpuppen sich die vermeintlichen Zumutungen als recht harmlos – zumal es nach Nullrunden 2018 und 2019 schon im laufenden Jahr nur behutsame Erhöhungen gegeben hatte, von denen AbokundInnen zudem verschont blieben. Auch diesmal trifft es eigentlich nur GelegenheitsnutzerInnen. Die Zeitkarten-Abos bleiben stabil, mit Ausnahme des rabattierten Abos „65+“, das 624 statt 612 Euro im Jahr kosten wird. Die Umweltkarte (Monatskarte AB) steigt im Einzelverkauf von 84 auf 86 Euro, der Einzelfahrschein AB von 2,90 auf 3 Euro und die Tageskarte von 8,60 auf 8,80 Euro. Wobei sich der Nutzwert Letzterer deutlich erhöht: Sie verliert ihre Gültigkeit nicht mehr am Folgetag um 3 Uhr morgens, sondern erst nach 24 Stunden.

Keine allzu großen Zumutungen eigentlich, zumal der Tarifabschluss des Fahrpersonals vom vergangenen Jahr und die Coronkrise den Verkehrsunternehmen Löcher ins Budget reißen. Dass die Koalitionspartnerinnen verschnupft sind, hat sich die grüne Verwaltung auch selbst eingebrockt. Tino Schopf, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, findet die Anpassung in weiten Teilen gar nicht falsch, ärgert sich aber trotzdem: über das verteuerte Abo für 65+ und die erratische Kommunikation der Verkehrsverwaltung. „Eigentlich war vereinbart, dass der Preis aller Abos stabil bleibt“, so Schopf. „Und dass wir den Beschluss aus der Presse erfahren mussten, ist ein Unding.“

Es wird in Sachen ÖPNV-Finanzierung noch einige koalitionsinterne Scharmützel geben, so viel ist sicher. Entzerren könnte die Debatte dabei die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie zur erweiterten ÖPNV-Finanzierung – die liegt eigentlich schon seit Monaten vor, wurde aber immer noch nicht veröffentlicht. Das sei nun „in Kürze“ der Fall. Bleibt abzuwarten, wie die Verkehrsverwaltung diesmal „in Kürze“ definiert.

Claudius Prößer