U-S-A! U-S-A!

Unser langjähriger Korrespondent nimmt Abschied von Amerika. Im letzten Teil seiner Abschiedstrilogie wird er unglaublich US-patriotisch. Will er tatsächlich heimkehren?

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Als ich vor wenigen Tagen, der Container war bereits versiegelt und auf der Reise nach Europa, einer befreundeten Familie anbot, übrig gebliebenen Hausrat abzuholen, kamen sie zu meinem Erstaunen mit einem nagelneuen, riesigen Geländewagen vorgefahren. Sie stammen aus Chile und leben seit Jahren illegal hier. Die Frau geht putzen, und der Mann schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Ebenso der Sohn, wenn er nicht für die Schule büffelt. Viel Geld haben sie nicht. Bislang fuhren sie einen klapprigen Chevrolet. Meine neugierigen Fragen wurden vom Sohn mit einem Lachen quittiert. „Wir werden die Raten bis an unser Lebensende abbezahlen. Aber der Wagen ist cool. Und vielleicht werden wir ja mal reich.“

Glückliche Einwanderer

Zuerst reagierte mein Hirn im üblichen Bedenkenträgermuster: Nur um einem Statussymbol hinterherzuhecheln, verschulden die sich über beide Ohren. Was passiert, wenn sie ihre – nie sicheren – Jobs verlieren oder krank werden? Jeder übrig bleibende Cent fließt zudem in die teure College-Ausbildung des Sohns. Und so weiter.

Wir wissen ja schließlich alle, wie amerikanische Verhältnisse sind und warum wir uns daheim keine wünschen. Vor allem deutsche SPD-Politiker werden nicht müde, uns diesbezüglich das Fürchten zu lehren: Arbeiten und trotzdem arm sein. Keine Krankenversicherung (warum haben die eigentlich alle bessere Zähne?). Malochen, bis der Arzt kommt, dennoch nur drei Wochen Urlaub im Jahr. Jederzeit droht Kündigung. Bei Arbeitslosigkeit nur sechs Monate Stütze vom Staat. Und Frauen wird nach der Geburt ihrer Kinder versagt, drei Jahre lang in ihrer Mutterrolle aufzugehen, da sie wieder Brötchen verdienen müssen. Na ja, und so dämlich weiter.

Doch meine Exilchilenen sind glücklich. Ihre Konsumtat verkörpert Verheißung. Sie glauben fest daran, dass der Sohn bald eine gut bezahlte Arbeit haben wird (was beim hiesigen Jobmarkt so gut wie garantiert ist, es gilt die Faustregel, dass niemand mit College-Abschluss auf der Straße landet), Vater oder Mutter auch bald eine Anstellung bekommt und sie alle die soziale Leiter langsam, aber stetig höher klettern werden. Amerika ist wie kaum eine andere Nation das Land der Chancen.

Okay, diese haben noch nicht dazu geführt, dass es hier anständiges Brot, genießbare Wurst oder Gummibärchen gibt. Aber wir leben ja zum Glück im Zeitalter der Globalisierung. Haribo-Tüten verkauft mittlerweile auch mein koreanischer Supermarkt um die Ecke. Oder ich bestelle sie mir online. Doch ansonsten macht der Chancenreichtum Amerika in mindestens drei Punkten attraktiver – ökonomisch betrachtet: entscheidende Pluspunkte im internationalen Wettbewerb.

Die zweite Chance

Amerika ist das Land der zweiten Chance. Fehler werden hier positiver gesehen und gelten als Erfahrungsschatz. Auch wird niemand schräg angeschaut, wenn er mit fünfzig einen Karriere- oder Berufswechsel vornimmt, noch mal die Schulbank drückt oder ein neues Unternehmen gründet. Sicher, der Druck der Veränderung – aufgrund eines viel flexibleren Arbeitsmarktes – war und ist hier größer. Er wird jedoch nicht, wie so oft in Deutschland, als Zwang wahrgenommen.

In Amerika haben überdies Menschen praktisch jeglicher Herkunft und Religion eine Chance zum Leben und zum Aufstieg (besonders faszinieren mich da die Mormonen, deren Glaubensgerüst auf dreisten historischen Fiktionen fußt und die dennoch den Status einer Kirche zuerkannt bekamen. Eine davon, weil sie so gut ist: Die Ägypter gruben lange vor Christus einen Tunnel unter dem Atlantik und pflegten einen regen Kontakt zur Neuen Welt, wobei ein gewisser Prophet Moroni, eine Mischung aus Ägypter, Arier und Indianer, eine maßgebliche Rolle spielte). Zwar werden hier nicht alle eingewanderten Tellerwäscher gleich Millionäre, aber so manche Erdbeerpflücker Klempner (eher der mexikanische Weg) oder Studenten Ingenieure (der indische Weg). Und die Aussichten für die Kinder sind ungleich besser. Mangelhafte Sprachkenntnis ist zwar ein Hindernis im Beruf, doch kein Diskriminierungsgrund. Neuankömmlinge haben es vergleichsweise einfach, und das Bemühen um ein rasches Integrieren ist oft beneidenswert. Bei Einladungen zu Partys trifft man albanisch-mexikanische oder österreichisch-indische Paare. Ständig muss man umdenken, sich selbst hinterfragen. Die Einwanderer tragen nicht nur zur Erweiterung des geistigen Horizonts bei, sondern auch zur konstanten Verjüngung der Gesellschaft. „Rentenkrise“ in den USA heißt, dass die Kassen 2040 leer wären.

Keine Angst vor Freiheit

Schließlich wird in Amerika Freiheit als Chance, nicht als Angstzustand gesehen. Auch ein Grund, warum sich viele Osteuropäer den USA näher fühlen als dem „alten“ Europa. Obwohl, ohne Zweifel, das Leben hier härter ist als in Westeuropa, jammern die Leute nicht. Klar, auch Amerikaner sind sich der Unsicherheiten und Konsequenzen der Postmoderne und des entgrenzten Kapitalismus bewusst und sorgen sich wegen der ökonomischen Dampfwalzen aus Asien. Sie wollen trotzdem nicht, dass der Staat sich einmischt, wollen zuerst immer aus eigener Kraft eine Lösung und Alternative finden. Kaum etwas erfüllt sie mehr mit Stolz als die eigene Leistung und Kreativität. Sie sind daher weit besser auf die Turbulenzen der Globalisierung vorbereitet. In diesem Sinne, wie auch hinsichtlich Öffnungszeiten, Türaufhalten, Orangensaft und Risikofreude, gilt: Von Amerika lernen heißt siegen lernen.