Erwerbslosenfürsorge mit dramatischen Steigungen

KLASSIKER Die Rennstrecke in der Eifel wurde von den Fahrern erst geliebt, dann boykottiert. Sie entstand in den 20ern, um Jobs zu schaffen. Und sie kostete dreimal so viel wie geplant

Der Rennfahrer Jackie Stewart sprach von der „Grünen Hölle“ rund um die Nürburg

GEMEINDE ADENAU taz | Der Kurs in der Eifel ist mit seinen 170 Kurven auf insgesamt fast 30 Kilometern Länge nicht nur die längste Rennstrecke der Welt, sondern vermutlich auch das älteste Strukturförderungsprojekt Deutschlands. Schon der motorsportverrückte Kaiser Wilhelm II. hatte prüfen lassen, ob in der dünn besiedelten Gegend rund um die Gemeinde Adenau eine Rennstrecke zu bauen sei. In automobiler Hinsicht war das Reich gegenüber Frankreich und England hoffnungslos im Hintertreffen, und nach dem Verbot der populären, aber gefährlichen Stadt-zu-Stadt-Rennen musste ein geschlossener Kurs her.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Plan wieder aufgenommen, die Wahl fiel aus verschiedenen Gründen auf die Eifel. Erstens war die Topografie mit ihren zahlreichen Hügeln, Tälern und Ebenen ideal, um die damals populären Bergstrecken zu simulieren. Zweitens galt die Eifel mit ihrer ruinierten Tabak- und Tuchproduktion als „einer der ärmsten Kreise Preußens“, wie der umtriebige Landrat Otto Creutz gegenüber dem Reichsverkehrsministerium in Berlin geltend machte.

Drittens sei der Bau als „Notstandsmaßnahme im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge“ zu betrachten – einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme also, die ab 1925 zeitweise bis zu 2.500 Menschen beschäftigte. Ursprünglich sollte das Projekt 2,5 Millionen Reichsmark kosten, am Ende schlug es mit mehr als 8 Millionen zu Buche.

Vor allem die 22,8 Kilometer lange Nordschleife mit ihren dramatischen Steigungen, den halsbrecherischen Haarnadelkurven und den säumenden Hecken galt seitdem als abenteuerlichste Grand-Prix-Strecke der Welt, in ihrer Berühmtheit nur zu vergleichen mit Monte Carlo, Monza oder Indianapolis. Der Rennfahrer Jackie Stewart schließlich prägte den Begriff von der „Grünen Hölle“ rund um die historische Nürburg. Im Jahr 1970 erwirkten Formel-1-Fahrer sogar einen Boykott, weil ihnen der Kurs mit seinen unübersichtlichen Kuppen, engen Kehren und endlosen Anfahrtswegen für Notärzte als zu gefährlich erschien. 1976 überlebte hier Niki Lauda einen Unfall nur knapp und mit verheerenden Verbrennungen im Gesicht.

Bald darauf wurde der Grand Prix auf die Hochgeschwindigkeitsstrecke Hockenheimring verlegt – wahrscheinlich auch, weil der Nürburgring dem immer wichtiger werdenden Fernsehen zu unübersichtlich war. Seitdem schaute der subventionierte Formel-1-Zirkus nur noch sporadisch in der Eifel vorbei, ausgetragen werden vor allem Truck-, Oldtimer-, Motorradrennen oder die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft (DTM). Beim mehrtägigen Open-Air-Spektakel „Rock am Ring“ werden jährlich bis zu 80.000 Besucher begrüßt.

Im Jahr 2007 verfügte die SPD-Landesregierung von Rheinland-Pfalz den Ausbau der veralteten Anlage zum Vergnügungspark mit Arbeitsplätzen auch außerhalb der sommerlichen Rennsaison – mit Hotels, Restaurants, Showrooms großer Autohersteller, Diskotheken, einem Indoor-Erlebnispark, dem Feriendorf „Grüne Hölle“ mit rund 100 Bungalows und der „schnellsten Achterbahn der Welt“, die Geschwindigkeit „erlebbar“ machen sollte. Sie ging wegen technischer Mängel nie in Betrieb. ARNO FRANK