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: Fünf Freunde nehmen Musik auf

Ähnlich beknackt wie redundante Gespräche über das Wetter („Puh, es ist kalt geworden!“ – „Jetzt ist der Sommer vorbei!“) sind redundante Gespräche über Urlaub („Sag doch mal: Wie war dein Urlaub?“ – „Toll, wir hatten Glück mit dem Hotel!“).

Zu Ersterem lehnte ich darum am Freitag mehrere Gesprächsangebote ab und stellte mich und meine wärmende Maske tapfer vor das Open-Air-Bühnchen des Humboldt Clubs, um die Gruppe OIL anzuschauen, deren gemeinsam geschriebenes Buch immerhin nicht von einem Urlaub, sondern von einer Art Bandcamp handelt: Vier Männer fahren in ein Kaff, um Musik aufzunehmen. Neben den üblichen umgebungs- und alterstypischen Hinweisen auf den erhöhten Alkoholkonsum ging es um charakterliche Unterschiede, mit denen die vier sich identifizierten.

Mitglied Reverend Dabeler fungiert als Miesepeter („Musik entstammt aus Hass“), Mitglied Maurice Summen als Küken („Ich bin zu jung für die Band“), Mitglied Gereon Klug als Kuckucksei („Ich bin gar kein Musiker“) und Mitglied Timur Mosh Çirak als gut gelaunter Koch („Es gibt 800 Arten, Eier zuzubereiten!“). Das erinnerte ein bisschen an die „Fünf Freunde“-Konstellation, zumal auch Dabelers Köter mit ins Exil musste: Der Miesepeter ist Julius, das Küken Richard, das Kuckucksei Georg(ina) und der Koch Anne (ich bevorzuge die deutschen Namen der Enid-Blyton-Charaktere, weil ich als Kind immer so über „Dick“ kichern musste).

Das Abenteuer blieb für die fünf konsequent aus, immerhin werkelte man an ein paar Songs und spielte am Freitag „Frack it“ und „Hey Erde“, Letzteres als nonchalant-hingerotzten Anti-Agit-Soul-Gil-Scott-Heron-Spoken-Word-Versuch.

Das Buch heißt „Naturtrüb“ und ist beim Verbrecher Verlag erschienen, für den Nachfolger schlage ich, falls, nur falls der Verbrecher Verlag kündigt, jedoch den Verlag vor, der die großartigen „Enid Blyton for Grown-Ups“-Bücher veröffentlicht, mit Titeln wie „Five give up the booze“ und „Five go gluten-free“. Hier wäre zum Beispiel „Five lose their Mojo“ oder „Five fail to jam“ denkbar.

Am Samstag stellte Jim Avignon eine neue Werkreihe in der Schmargendorfer Villa Köppe-Galerie aus, und wenn nicht Bilder wie „Home Office“, auf der ein nachdenkliches Haus am Schreibtisch sitzt und in den Laptop guckt, während es aus dem Schornstein raucht, die momentane Situation gut einfangen würden, wäre es fast wie früher gewesen: Beim notorisch produktiven Avignon konnte man noch nie „Painter’s Block“ oder mangelnde Inspirationen konstatieren. Was er sieht, wird gemalt und unsterblich.

Abends erwischte mich um ein Haar doch noch das Thema Urlaub, glücklicherweise stellte es sich als etwas ganz anderes, viel Interessanteres heraus: Die Autorin Claudia Basrawi gab eine „Lecture Performance“ mit dem Titel „Beirut – Meeting the Saints“ in der Vierten Welt am Kotti. Basrawi erzählte von einer Reise in die Stadt ihrer Kindheit und präsentierte dazu Fotos, Landkarten, höchst selbst angefertigte Zeichnungen, Musik und Anekdoten, zum Beispiel von dem im Libanon anscheinend sehr angesagten heiligen Charbel, einem bärtigen maronitischen Mönch, den Basrawi als kuschelige Stoffpuppenversion zeigte.

„Mir gefallen alle Lebensgeschichten“, sagt Basrawi später in einer Szene, die in ihrem fiktiven Wohnzimmer spielt, und das Basisdemokratische an der Aussage wirkte versöhnlich: Recht hat sie, Lebensgeschichten sind immer interessanter als Urlaubsgeschichten, es sei denn, man machte am 11. März 1669 zufällig Ferien auf Sizilien und erlebte den Ausbruch des Ätna mit; oder man hatte sich 1912 auf der „RMS Titanic“ eingeschifft. Dann dürfte man hinterher schon mal von seinen Erlebnissen berichten. Jenni Zylka