Die Ratlosen

Die Linkspartei in NRW sucht nach dem Desaster bei den Kommunalwahlen nach Halt. Die neue Parteispitze aus Christian Leye und Nina Eumann will den innerparteilichen Zoff beenden

Ein Antrag fordert, Kultur und Sport zu verstaatlichen – das riecht streng nach DDR

Aus Münster Stefan Reinecke

Inge Höger, 69, scheidende Landeschefin der Linkspartei in NRW, steht am Rednerpult vor rund 221 Delegieren ihrer Partei und sucht nach Worten. Eigentlich wäre sie am liebsten gar nicht auf diesem Parteitag am Samstag in Münster, sagt sie, sondern in Garzweiler, wo AktivistInnen gegen Kohleabbau protestieren. Lieber Bewegung als Partei – ein ungewöhnlicher Satz für eine Parteivorsitzende. „Ich hab’s nicht geschafft, ich gehe zurück an die Basis. Tschüs“, sagt Höger am Ende knapp. Es ist ein unsouveräner Abgang der Parteilinken, die zu der in NRW einflussreichen Antikapitalistischen Linken (AKL) gehört. Der Applaus ist spärlich.

Bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen haben die GenossInnen nur 3, 8 Prozent geholt, ein Prozent weniger als vor sechs Jahren. Höger hatte vor dem Parteitag in einem Brief an alle Parteimitglieder ihren Ko-Chef Christian Leye, 38, für die Niederlage verantwortlich gemacht. Dieser habe ihre Arbeit „sabotiert“. Leye wiederum sprach von einer „Schmutzkampagne“, die der Partei schade.

Eine herbe Wahlniederlage, interner Zoff, Schmutzkampagne versus Sabotage – die Linkspartei in NRW, mitgliederstärkster Landesverband und Hochburg des linken Flügels, steckt in einer Krise. In Umfragen rangiert sie unter 5 Prozent.

Hans Decruppe, 67, Vizevorsitzender, sieht die Partei in „einer Zangenbewegung“. Auf der einen Seite verliere man im linksbürgerlichen Spektrum an Grüne und Kleinparteien wie Volt und Die Partei, auf der anderen Seite seit Jahren bei Abgehängten und Prekären. Es ist in Münster viel Selbstkritisches zu hören. Britta Pietsch, eine von vier Parteivizes, seufzt: „Wir erzählen uns seit zehn Jahren, dass wir uns in der Gesellschaft verankern wollen.“ Doch es bleibe beim Appell.

Der traditionell linke Landesverband ist in zwei Gruppen gespalten. Leye, die Strömung Sozialistische Linke (SL) und die wenigen Pragmatiker setzen auf Arbeit in Parlamenten, Gewerkschaftsnähe und Soziales. Die AKL betont hingegen radikale Rhetorik und Nähe zu Bewegungen wie Ende Gelände. Ein AKL-Antrag in Münster fordert die „zügige Vergesellschaftung und Verstaatlichung von Erziehung und Bildung, Wohnen, Kultur und Sport“. Kultur und Sport verstaatlichen – das riecht streng nach DDR. Außerdem sollen, so der AKL-Antrag, GenossInnen nach acht Jahren auf ihr Mandant verzichten. „Wenn dieser Antrag angenommen wird“, warnt ein Basis-Genosse, „werden wir zur Sekte.“ 108 stimmen gegen den AKL-Antrag, 79 dafür, 28 enthalten sich.

Zu Högers Nachfolgerin wird mit 68 Prozent die Mülheimerin Nina Eumann, 55, gewählt. Die Steuerfachwirtin will, wie Höger, vor allem die „Anliegen der sozialen Bewegungen ins Parlament bringen“, aber nicht so polarisieren. Eumann und Leye, mit 60 Prozent wiedergewählt, streben einen flügelübergreifenden Neustart an. Versöhnen statt spalten.

Bei den NRW-Linken scheint somit nun ein buntes Bündnis von SL, Wagenknecht-Anhängern, Teilen von der trotzkistischen Marx 21 und Moderaten das Sagen zu haben. „Die destruktiven Kräfte in der AKL sind isoliert“, so ein Pragmatiker.

Das zeigt Samstagabend die Wahl des neuen Landesgeschäftsführers. Lukas Schön, der im Büro des pragmatischen Bundestagsabgeordneten Matthias Birkwald arbeitet, tritt gegen Fabian Stoffel aus dem Umkreis von Inge Höger an. Beide Flügel stilisierten die Wahl vorab zu einer Richtungsentscheidung. Schön gewinnt mit 65 Prozent. Doch als um kurz nach 20 Uhr das Ergebnis verkündet wird, ist der Saal fast leer. Die GenossInnen sind schon auf dem Weg zum Abendessen.