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Eine spirituelle Welt,
eine Kakaobohne
und klare Ziele

In der Sierra Nevado de Santa Marta baut das indigene Volk der Arhuaco einen der besten Kakaos der Welt an. Die feinen Bohnen aus Kolumbien sind so gefragt, dass die Arhuaco gute Chancen haben, zu den Wurzeln ihrer Geschichte zurückzukehren

In Kolumbien sind mehrere Fairtrade-Akteure aktiv. Sie bauen verschiedene Produkte an und verarbeiten diese zum Teil auch weiter. Aus der Region Magdalena etwa kommen Bananen mit Fair-Handels-Siegel nach Deutschland. In Kolumbien produzieren 67.000 Kaffee-Bauern in Fairtrade-zertifizierten Genossenschaften. Ihnen stehen 16.400 Erzeuger gegenüber, die andere Zertifikate tragen. Im Jahr 2017 stammten 2,5 Prozent der kolumbianischen Exporte aus dem Fairtrade-Handel.

Die Sierra Nevada liegt im Norden Kolumbiens unweit der Küste. In den Tälern der Gebirgskette leben noch vier verschiedene Indianerstämme, die Kogi, die Arhuaco (auch Ika genannt), die Wiwa und die Asario (auch Sánha genannt). Insgesamt bevölkern heute geschätzte 20.000 Angehörige indigener Völker die Sierra, deren traditionelle Lebensweise und natürlichen Lebensräume zunehmend bedroht sind.

Von Knut Henkel

Ein halbes Dutzend Maultiere mit Packsätteln stehen vor dem schmucklosen Betongebäude am Rande von Perico Aguado. Es ist früher Morgen, die Nebelschwaden in den Bergen der Sierra Nevada de Santa Marta haben sich kaum verzogen, und auf der kleinen Lichtung vor dem Beneficio Humedo ist schon reichlich Betrieb. Mehrere Männer in weißen weiten Bauwollgewändern wuchten schwere Säcke auf dem Rücken und schleppen sie zur Waage, die neben mehreren mächtigen Holzkisten in der Halle steht.

„Da lassen wir die frischen Bohnen gleich fermentieren“, erklärt Francisco Villafaña. Gemeinsam mit seinem Bruder Hernán koordiniert er die Arbeit in der kleinen Kakaoverarbeitungsanlage in dem kolumbianischen Dorf Perico Aguado. Das liegt nur ein paar Kilometer vom Badeort Palomino und eine gute halbe Stunde von der Hafenstadt Santa Marta entfernt.

Aus den niedrigen Lagen des Regenwaldes der Sierra Nevada, dem höchsten Küstengebirge der Welt, kommen die aromatischen Bohnen. Sie werden zwischen Oktober und Februar auf kleinen, kaum mehr als zwei Hektar großen Plantagen der indigenen Ethnie der Arhuaco geerntet und im Beneficio Humedo weiterverarbeitet. Hier führen die Brüder Villafaña Regie. Francisco hat in Frankreich eine Ausbildung zum Chocolatier absolviert, Hernán als Autodidakt seit seinem 17. Lebensjahr alles rund um den Anbau und den Handel mit den aromatischen Bohnen gelernt. Damals ist die Familie Villafaña aus den kalten Bergen heruntergezogen auf eine Farm am Rande des Regenwaldes, wo Hernán seine erste Kakaoschote sah und erst für eine Papaya hielt. Bis ihn sein Vater aufklärte.

Seitdem dreht sich vieles im Leben des 34-Jährigen mit den langen blauschwarzen Haaren um die bauchigen Schoten, die grün oder auch rot an den Kakaobaumstämmen hängen. Erst wenn sie sich orangegelb verfärben, können sie geerntet werden, so Hernán Villafaña. In Kakaounternehmen, bei Handelsgesellschaften in Kolumbien und Japan hat er hospitiert, sich die Kenntnisse angeeignet, um die Vermarktung der Bohnen, aber auch deren Weiterverarbeitung im Beneficio Humedo zu koordinieren.

Dort ist derzeit reichlich zu tun. Alle paar Minuten treffen Bauern mit schwer beladenen Maultieren ein, die je zwei Säcke à 60 Kilogramm mit frisch geernteten Kakaobohnen schleppen. Die landen wenig später in der langen Reihe von voluminösen Holzkisten, die den vorderen Teil der Halle dominieren. Ein paar Tage fermentieren sie in den Kisten, wobei die dunklen, von weißen Fruchtfleischresten bedeckten Bohnen regelmäßig gewendet werden. „Gleichmäßiges Fermentieren und anschließendes Trocknen der Bohnen in der Sonne entscheidet über deren Qualität“, erklärt Francisco Villafaña, und sein Bruder Hernán nickt zustimmend.

Während Francisco die adrette Arbeitskleidung eines französischen Chocolatiers trägt, die an jene der Sterneköche erinnert, ist Hernán traditionell gekleidet: Seine hellekoni sche Kopfbedeckung steht für die von Gletschern bedeckten Berge der Sierra Nevada. Die Sandalen symbolisieren das Meer, und der weite weiße Überwurf mit dem breiten Gürtel und darunter die weiten weißen Hosen stehen für die Vegetation. „Für uns ist das Gleichgewicht der Natur elementar. In unserer spirituellen Welt ist die Sierra Nevada das Herz der Erde und steht mit allen Regionen im Austausch“, erklärt er. Der Bezug zum eigen Territorium, der Schutz der Umwelt, der nachhaltige Bioanbau von Kakao, aber auch Kaffee in Mischkulturen im Regenwald der Sierra Nevada ist für die Arhuaco alternativlos. Dabei haben sie in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte gemacht und verfolgen klare Ziele.

Die Bio- und Fair-Trade-Zertifizierung ist abgeschlossen, der Verkauf der aromatischen Bohnen befindet sich in professionellen Händen, und bei der Qualität haben die indigenen Biobauern in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht. Preise auf internationalen Kakaomessen zeugen davon, und mitverantwortlich dafür ist eine seltene Criollo-Variante, die bei Gourmets für leuchtende Augen sorgt.

Criollo gilt als die beste aller Kakaosorten, einige Experten vermuten, dass sie aus der Region der Sierra Nevada stammen könnte. Die Arhuaco kultivieren Pflanzen aus einem sehr alten Kakaobestand, der mithilfe von Experten wie Jan Schubert von „Original Beans“ durch Selektion und dem Ziehen neuer Pflanzen erweitert wurde. So ist die Produktion nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ gesteigert worden.

Preise auf Kakaomessen, leuchtende Augen bei Gourmets

Für die Kooperation mit „Original Beans“, einem in Amsterdam ansässigen, nachhaltig und sortenrein produzierenden Schokoladenanbieter, haben sich die Kakaovisionäre der Arhuaco entschieden, weil sie mit Aufforstungsprojekten, recycelbarer Verpackung und schonender Verarbeitung nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv agieren. Hernán Villafaña hat damals die Verpackung einer Schokoladentafel von „Original Beans“ im Wald vergraben und als sie sich aufgelöst hatte, grünes Licht für die Zusammenarbeit gegeben. In dessen Verlauf ist der Beneficio Humedo entstanden.

Gleichwohl legen Arhuaco Wert auf ihre Unabhängigkeit, denken mehrdimensional, wie das Beispiel der eigenen Múnzuwa-Schokolade zeigt. Die stellt Francisco Villafaña in dem kleinen Labor her, und die kompostierbar verpackten Tafeln mit dem eigenen Logo sollen irgendwann in größeren Stückzahlen in Karibikstädten wie Santa Marta, Cartagena de Indias oder Barranquilla verkauft werden.

Die Strategie ist klar: das eigene Produkt verarbeiten, veredeln und irgendwann auch exportieren. So wollen die Arhuaco die eigene Zukunft gestalten und sich obendrein einen Traum erfüllen, so Hernán Villafañas. „Wir wollen unser traditionelles Territorium zurückerlangen, und das Werkzeug dafür ist Geld.“ Vor den spanischen Kolonisatoren und später vor den Colones, den Siedlern, sind die Arhuaco im Laufe der Geschichte immer höher in die Berge ausgewichen.

Dieser Prozess hat sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren langsam umgekehrt. Ermöglicht hat das in einigen Fällen die kolumbianische Regierung, die Land zurückgekauft und den Arhuaco übergeben hat. Der Umzug der Familie Villafaña 2003 ist dafür ein gutes Beispiel. Doch der Prozess ist trotz des im November 2016 unterzeichneten Friedensabkommens zwischen Regierung und Farc-Guerilla ins Stocken gekommen. „Deshalb verfolgen wir unsere eigene Strategie, um in unser traditionelles Siedlungsgebiet zwischen dem Río Palomino und dem Río Don Diego zurückzukehren“, so Hernán Villafaña. Dafür ist Kapital nötig, und dabei dient der Kakao als Werkzeug, um zu den Wurzeln der Geschichte zurückzukehren.