Die Bewegung nach vorn

ASIEN Zerschnittene Unterhosen, verfärbte Fahnen und flüsternde Engel: Mit „Short Cut“ stellt die Galerie Alexander Ochs junge Künstler aus Indien, Indonesien, China und Japan vor

Ihre Kunst ist häufig der einzige Weg, das chinesische System zu hinterfragen

VON FAN ZHAO-JACOBS

Kreuz und quer liegen sechs Dosen auf dem Holzparkett am Eingang des Ausstellungsraums. Rund, flach, aus Edelstahl. Die gedruckten chinesischen Schriftzeichen in Schwarz auf den Deckeln geben Aufschluss über den Inhalt: Socken, Unterhosen, Büstenhalter. Die Stoffe sind in Streifen geschnitten und aufgerollt zu farbigen Spiralen, wie eine Zielscheibe sehen sie aus. Mit diesen Stoffen evoziert Yin Xiuzhen, geboren 1963 in China, eine Atmosphäre von Intimität. Das ist für sie wichtig im Blick auf die Gegenwart der chinesischen Gesellschaft: Innig und fest ist sie verbunden, aber eben auch etwas gefährdet.

Für Alexander Ochs mit seinen Galerien in Berlin und Beijing ist es Tradition geworden, in der Sommerpause junge Künstler aus Asien vorzustellen. Die Ausstellung „Short Cut“ bietet insgesamt neun Künstlern aus Indonesien, Indien, Japan und China eine Plattform und ermöglicht so einen Einblick in die zeitgenössische Kunst Asiens. Unterschiedliche Werke und Haltungen stehen dicht beieinander, übertönen sich jedoch nicht. So bekommt man einen Eindruck von den kulturellen und gesellschaftlichen Traditionen der asiatischen Länder, aber auch eine Ahnung von der zukünftigen Entwicklung dort.

Eine amerikanische Flagge ohne Sterne

Hinter einem grünen Vorhang findet sich nichts als eine leere, weiße Wand. Ein Bild, das „Ohne Titel“ ist. „Das ist ein freier Raum, wo man viel nachdenken und sich etwas vorstellen kann, soll oder muss“, sagt der chinesische Künstler Jin Lie, der 1969 in China geboren ist, aber seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Nach der Geschichte der Niederschlagung des Aufstands vom 4. Juni 1989 am Platz des Himmlischen Friedens in Beijing ist er seinen deutschen Freunden gefolgt und nach Deutschland eingewandert. Er lebt seit 2003 in Berlin.

„1987“ ist ein anderes Gemälde von Jin Lie betitelt. Es zeigt die amerikanische Flagge ohne Sterne, die Streifen sind nicht rot, sondern violett. Damit möchte Jin an die Zeit nach der wirtschaftlichen Öffnung Chinas in den 1970er-Jahren erinnern, an den „Einfluss Amerikas auf meine Kindheit in China, ihre Ökonomie, politischen Bewegungen, die Musik Michael Jacksons“. Jin versucht sich in seiner Malerei auf hintergründige und ironische Weise mit dem Thema „Identität“ auseinanderzusetzen. Seine Kunst erzählt sowohl von seinen Jugenderfahrungen mit westlicher Popkultur in China als auch von der Geschichte seiner Heimat.

In der Mitte des Ausstellungsraums hängen fünf Engel. Sie schweben in einem Kreis. Sie lächeln, sie erstarren, und wenn sie flüstern, bewegen sie sogar die Flügel. Der Multimedia-Künstler Heri Dono (geboren 1960, Indonesien) zählt zu den bekanntesten Künstlern Indonesiens. Mit seinen „Flying Bidadari“ signalisiert Heri Dono seinen Wunsch, Kontakt mit den Bidadari, so nennt man Engel in Indonesien, aufzunehmen. Wer würde nicht gern mal mit ihnen flüstern, doch niemand kann sie erreichen. An diesem Dilemma macht Heri Dono klar, wie der Geist und die Vorstellungskraft der Zeit immer voraus sind.

Dunkel in der Farbe, bissig in der Mimik

Neun Porträts von Männern, Frauen, Hunden und Soldaten hängen nebeneinander, düster und frostig. Sie stammen von dem 1982 geborenen Zhao Zhao, dem jüngsten Künstler der Ausstellung. Seinem kritischen Ansatz sieht man die Zusammenarbeit mit Ai Weiwei an. Mit seinen Porträts will er verschiedene Geschichten erzählen, auf indirekte Weise, dunkel in der Farbe, mit bissiger Mimik oder indem er eine Position im Gegenlicht aufnimmt. Für Künstler wie Zhao Zhao und Ai Weiwei ist ihre Kunst häufig der einzige Weg, das chinesische System zu hinterfragen.

Die Auswahl der Positionen für „Short Cut“ ist aufschlussreich. Sie zeigt nicht nur den gegenwärtigen Stand der asiatischen Kunst, sondern auch die Veränderung der Ideen und der Gedanken asiatischer Künstler. So jedenfalls könnte man ein Foto auf Leinwand des chinesischen Künstlers Lin Jingjing interpretieren. Menschen begegnen sich unter einer Brücke oder auf einer Treppe, aber sie kommen einander nicht nahe. „My Promise for your Happiness“ wird nur aus weiter Ferne gerufen. Mit der Aufnahme markiert der 1975 geborene Künstler das unsichtbare Netz, das zwischen den Menschen existiert. Die Bewegung nach vorne ist schwer, aber immerhin, einen Versuch ist es wert.

■ Alexander Ochs Galerie Berlin/ Beijing, Besselstraße 14, noch bis zum 8. September, Di.–Sa. 11–18 Uhr