heute in bremen: „Diese Community ist toxisch“
Veronica Kracher, Jahrgang 1990, erforscht eklige und gefährliche Subkulturen von Altright bis Rechtsterrorismus. Ihr Buch über Incels erscheint im November bei Ventil, 320 S., 16 Euro.
Interview Marie Gogoll
Frau Kracher, wie lässt sich die Incel-Bewegung in wenigen Worten zusammenfassen?
Veronica Kracher: Incel steht für „involuntary celibates“, also „unfreiwillig im Zölibat Lebende“. Das sind junge Männer, die der sogenannten Black-Pill-Ideologie anhängen. Sie gehen davon aus, dass Männer ein Anrecht auf Sex haben, Frauen ihnen den jedoch verweigern, weil sie oberflächlich, primitiv und von Natur aus bösartig sind. Sie tauschen sich in Internetforen aus, die sie als Selbsthilfegruppen bezeichnen.
Und dort helfen sie sich gegenseitig?
Nein, diese Community ist toxisch. Nicht selten liest man Kommentare wie „du solltest dich am besten direkt erhängen“. Neben dem Frauenhass sind Incels geprägt von Selbsthass. Sie halten sich selbst für hässlich, sagen häufig, sie hätten die „genetische Lotterie verloren“, dabei sehen die meisten aus wie ganz normale junge Männer.
Trotzdem leben Incels Gewalt häufig nach Außen und gegen Frauen aus. Wie groß ist die Gefahr, die von ihnen ausgeht?
In Nordamerika haben Attentate von Incels bereits 50 Todesopfer gefordert. Terroristen werden in der Szene als Helden verehrt. Der Satz „to go ER“ bedeutet zum Beispiel, dass ein Attentat geplant wird. Er nimmt Bezug auf Elliot Rodger, der bei einem Attentat in Kalifornien 2014 sechs Menschen und sich selbst tötete. Die Glorifizierung von frauenfeindlichem Terror sollte man auf jeden Fall als Gefahr ernst nehmen.
Wie groß ist die Gefahr, die von Incels ausgeht in Deutschland?
Das ist ganz schwer zu sagen. Wir wissen nicht, ob der Attentäter von Halle Incel war, doch er hat mit der Szene sympathisiert. Es gibt eine deutsche Incel-Szene, ich kann aber nicht sagen, ob oder wann es in Deutschland zu einem Incel-Attentat kommen wird. Die frauenfeindliche Gewalt äußert sich aber ja nicht nur in Attentaten.
Sondern?
Incels brüsten sich mit jeder Form von Gewalt gegen Frauen. Sie prahlen, wenn sie Frauen begrapscht haben und sprechen von Vergewaltigungen als Erziehungsmaßnahme.
Wie haben Sie es während ihrer Recherche ertragen, so viel Zeit in Incel-Foren zu verbringen?
Lesung: 20 Uhr, Einlass 19.15 Uhr. Outdoor beim Kukoon im Zentaurenpark am Leibnitzplatz. Bei schlechtem Wetter: Kulturzentrum Kukoon
Ich habe mich viel mit anderen Menschen, die dazu arbeiten, ausgetauscht. Es ist wichtig, sich Pausen zu nehmen und darüber zu sprechen. Auch professionelle Hilfe kann wichtig sein. Es hat mir aber auch ungemein geholfen, zu wissen, dass ich mit dem Buch wichtige politische Arbeit leiste. Man muss Ideologien wie diese kennen, um sie zu bekämpfen.
Was ist ihr Rezept gegen Incels?
Wir müssen Frauenhass und patriarchalem Anspruchsdenken generell entgegenwirken. Die Abwertung von Nicht-Männlichem ist in der Gesellschaft verwurzelt. Wir brauchen kritische Jungen-Arbeit, die Jungen von klein auf ein anderes Bild vermittelt. Im Endeffekt müssen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, grundlegend verändern: Wir brauchen die Überwindung des Patriarchats.
Fühlt man sich dazu bestärkt, nachdem man Ihr Buch gelesen hat?
Ich habe darauf geachtet, es positiv enden zu lassen. Ich habe mit Ex-Incels gesprochen, die ihren Weg aus der Szene beschreiben und jetzt anderen Aussteigern helfen. Es gibt außerdem ein Interview mit einem Pädagogen, der kritische Jungen-Arbeit macht. Mir war wichtig, zu zeigen, dass es sich zwar um eine super-beschissene Subkultur handelt, deren Gefahren wir nicht unterschätzen dürfen, doch dass es auch Wege gibt, gegen sie vorzugehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen