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Unverzichtbare Solidarität

Die Initiative „Freiabos für Gefangene e. V.“ feiert 35. Jubiläum. Wir fragen Freiabo-Chefin Sybill Knobloch, wie es dem Projekt geht und ob es in digitalen Zeiten überhaupt noch nötig ist

Auch hinter diesen Toren muss die taz lesbar bleiben. Die „Freiabos“ machen es möglich Foto: imago images / Eibner

Interview Jan Feddersen

taz: Sybill, die taz sammelt für Freiabos für Gefangene – seit wann – und warum?

Sybill Knobloch: Am 16. September 1985, also vor 35 Jahren,wurde die Initiative „Freiabonnements für Gefangene e. V.“ von „taz“-Aktivist:innen gegründet. „Jedem Knacki seine taz“, lautete die Forderung. Das war nicht so einfach. Zeitungen müssen in Gefängnissen im Abonnement bezogen werden, und Gefangene verdienen zu wenig Geld, um sich Zeitungsabonnements leisten zu können. Das hatte und hat zur Folge, dass sich Menschen in Haft direkt an Zeitungsverlage wenden und um kostenlose Zeitungen bitten. Mit der Gründung von „Freiabonnements für Gefangene“ wollte die taz eine Regelung finden, den Unmengen an Anfragen aus Vollzuganstalten zu begegnen.

Eine Kontaktstelle …

… ja, aber der Verein sollte sich nicht nur um die vielen Briefe aus der Haft kümmern, sondern auch darum, dass genügend Unter­stützer:innen für die taz-Knast­abos gefunden werden, die diese Zeitungsabonnements finanzieren.Im Laufe der ersten Monate nach Vereinsgründung kamen weitere Zeitungen wie der Tagesspiegel oder die Frankfurter Rundschau in das kostenlose Zeitungsangebot für Gefangene dazu. Heute vermittelt der Verein neben der taz etwa 40 unterschiedliche Zeitungen und Zeitschriften.

Hat es immer schon Solidarität mit leseinteressierten Gefangenen gegeben – und hat sie zu- oder abgenommen?

Seit Vereinsgründung gibt es eine große Solidarität und viel Verständnis der taz-Leser:innen dafür, dass leseinteressierte Gefangene Unterstützung brauchen. Diese Solidarität war im Laufe der Jahre Schwankungen unterworfen, blieb aber im Prinzip konstant groß.

Sind Zeitungen aus Papier noch wichtig – oder täten es nicht auch Zugänge zu Digitalabos?

Im Vollzug gibt es bis heute noch keine Alternative zur gedruckten Zeitung. E-Paper-Zeitungen haben sich nicht durchgesetzt. Die Gründe dafür liegen nicht nur in der mangelnden technischen Ausstattung der meisten Vollzugsanstalten, die größere Investitionen notwendig machen würden. Es gibt auch Sicherheitsbedenken. Es geht vor allem um die Vermeidung von Missbrauch durch einen ungehinderterten Zugang zum Internet. Technische Lösungen für einen Zugang zu Digitalabonnements müssen vor diesem Hintergrund erst noch gefunden werden.

Wie ist die Resonanz der Gefangenen auf diese solidarische Geste?

Gefangene wissen um den Wert, den diese Solidarität hat. Das erfahren wir aus den vielen Briefen, die wir nach wie vor noch täglich aus den Vollzugsanstalten erhalten – und auch aus den Telefonaten, die uns aus den Gefägnissen erreichen. Viele Insass:innen rufen kurz vor oder nach ihrer Entlassung an, um sich zu bedanken und mitzuteilen, wie wichtig ihnen die Zeitung war – und das Gefühl des Unterstütztwerdens.

Seit wann engagierst du dich für diese Arbeit?

Ich bin seit 1990 beim Verein. Außer mir gibt es noch eine Mitarbeiterin und einen Minijobber. Die Arbeit besteht nicht nur aus der Vermittlung der über 40 unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften. Wir vermitteln auch Bücher: gebrauchte Bücher an Haftbüchereien und Lehrmaterialien an Inhaftierte, die sich weiterbilden möchten. Im Dezember erfüllen wir Inhaftierten im Rahmen unserer jährlichen Weihnachtsaktion „Ein Buch als Weihnachtsgeschenk“ einen Bücherwunsch.

Engagement für bildungswillige Inhaftierte …

… so begann es, aber seit 2000 organisieren wir auch einen „Runden Tisch für ausländische Gefangene und Gefangene mit Migrationshintergrund“, und seit 2012 koordinieren wir das Projekt „Religiöse Betreuung von muslimischen Inhaftierten“. Wir als Verein sind heute mehr als eine Zeitungsvermittlung. Mit der Kernaufgabe des Vereins – Information und Bildung für Menschen in Haft – kann ich mich voll und ganz identifizieren. Die Bedeutung der Arbeit ist konkret und praktisch spürbar. Deshalb ist es nicht schwierig, sich immer wieder neu zu motivieren.

Bleiben Freiabos wichtig in einer zeitungspapierlosen Zukunft?

Ich hoffe, ja. Wann die papierlose Zukunft auch im Strafvollzug beginnt, ist jedoch unklar. Kurz- und mittelfristig werden die gedruckten Zeitungen im Vollzug nötig bleiben.

Sybill Knobloch, geboren 1955 und aufgewachsen in Unterfranken, studierte Politologie an der FU Berlin und landete Anfang der 90er bei den „Freiabos“. Sie blieb.

Unterstützen Sie die Freiabonnements für Gefangene. Alle Details finden Sie auf: www.freiabos.de

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