Schnäppchen für den guten Zweck

In Duisburg stehen Menschen mit Behinderungen hinter dem Verkaufstresen: Ein Supermarkt beschäftigt psychisch kranke Menschen, eine landesweit einmaliges Projekt. Die Mitarbeiter sind froh über neue Perspektiven, die Kunden zufrieden

„Auf meine Mitarbeiter kann ich mich verlassen“, sagt der Chef

AUS DUISBURGLUTZ DEBUS

Der Rentner, der mit seinem Opel-Corsa auf dem Kundenparkplatz wartet, ist entrüstet: „Meine Frau ist nun schon zwei Stunden in dem Laden.“ Früher war hier ein Discounter. Da sei sie schnell wieder draußen gewesen. Aber nun habe sie sich wohl „festgequatscht“.

Die Kunden sollen sich in dem neuen Supermarkt wohl fühlen. Anfang Juni wurde er feierlich eröffnet. „CAP – der Lebensmittelpunkt“, so die zweideutige Werbung der Firma. „Bei dem Wort Handicap hat man einfach das Handy weggelassen“, scherzt ein Verkäufer. Tatsächlich sind von den zwölf Beschäftigten neun schwerbehindert.

CAP unterhält bundesweit 25 Filialen, vornehmlich in Baden-Württemberg, aber auch in den neuen Bundesländern. Überall dort, wo die großen Ketten ihre Pforten schließen, weil sich eine Filiale nicht mehr rechnet, wittert CAP eine Chance. So auch im Duisburger Norden. Die erste Niederlassung in NRW liegt im Einzugsgebiet der Siedlung „Im Eickelkamp“. 8.000 Menschen mussten lange Zeit ohne Lebensmittelladen auskommen. Die nächste Einkaufsmöglichkeit war im vier Kilometer entfernten Marxloh. Nun können die Eickelkämper in einem geräumig eingerichteten Lebensmittelmarkt flanieren. Dabei werden sie von etlichen Mitarbeitern beraten. „Normalerweise arbeiten um diese Uhrzeit in einem Supermarkt drei Mitarbeiter. Wir sind jetzt gerade sieben.“ Ferzan Aktas ist stolz auf „seinen Laden“. Als Nichtbehinderter habe er noch nie so angenehme Arbeitsbedingungen vorgefunden. Für manche Aufgabe müsse man zwar mehr Zeit einplanen, aber das Betriebsklima sei ideal. „Wir führen Qualitätsprodukte und auch preiswerte Ware.“ Aktas gerät ins Schwärmen. „Wir haben eine Bioecke und türkische Lebensmittel im Angebot. Wenn Sie etwas brauchen und es hier nicht finden, wir bestellen es Ihnen.“

Betreiberin der Filiale in Duisburg ist die „Horizonte gGmbH“. Aus der psychiatrischen Versorgung der Stadt hervorgegangen, kümmert sie sich um Verdienstmöglichkeiten für chronisch psychisch Kranke. Deshalb ist es für die Kunden des CAP-Marktes auch schwer, behinderte von nichtbehinderten Verkäufern zu unterscheiden. Niemand ist offensichtlich eingeschränkt. Die Verletzungen sind innerlich.

Einer der als behindert klassifizierten Mitarbeiter ist Torsten Lenser. „Es tut mir gut zu arbeiten, gebraucht zu werden.“ Der 38-Jährige hatte in seinem Leben bisher wenig Möglichkeiten, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nach der Schule absolvierte er zwar eine Lehre als Großhandelskaufmann. Aber während des anschließenden Studiums der Wirtschaftswissenschaften platzte ihm eine Aterie im Gehirn. Nach einer schweren Operation musste er sechs Wochen lang völlig regungslos im Krankenhaus liegen. Monate dauerte es, bis er körperlich genesen war, sein Studium wieder aufnahm. In seinem Kopf allerdings war wohl etwas durcheinander geraten. Er begann, Stimmen zu hören, fühlte sich von Nazis verfolgt. Einige Male wurde er in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Zwei Jahre arbeitete er dann als angelernter Verkäufer in einem Teppich- und Tapetengeschäft. „Dann wurde ich einsam“, sagt er, „und kam erneut in die Krise“. Es folgte ein weiterer Klinikaufenthalt. Im Kontaktzentrum für psychisch Kranke in Duisburg bekam er von einer Arbeitsvermittlerin die Adresse des Horizonte e.V.. Lenser konnte bereits Erfahrungen im Einzelhandel vorweisen, er war für die Arbeit bei CAP prädestiniert.

Sogar die Lagerarbeit mache ihm Spaß. „Ich nehm auch mal den Besen in die Hand. Bin Mädchen für alles. Und das find ich gut.“ Besonders angenehm sei, dass jeder Kollege und Vorgesetzte von seiner Krankheit wisse. Früher habe ihn das ewige Versteckspiel aufgerieben. Wie konnte er früher Blicke deuten? Was war tatsächlich ablehnend gemeint, was war Symptom eines erneut auftauchenden Verfolgungswahns? „Mein Vorgesetzter sieht mir nun sofort an, wann es mir nicht so gut geht und setzt mich dementsprechend in einer weniger stressigen Stelle ein.“ Auch seine Isolation konnte Torsten Lenser überwinden. „Durch meine Krankheitsgeschichte habe ich mich im Laufe der Jahre zu einem Eremit entwickelt“, sagt er. Bei CAP sei aber selbst der direkte Kontakt zur Kundschaft kein Problem. „Hier herrscht eine ruhige Atmosphäre. Alles ist sehr geräumig. Es gibt keinen Massenandrang.“

Torsten Lenser hat Glück gehabt. Viele Menschen, die nach mehreren Klinikaufenthalten nur eine so genannte „psychiatrische Karriere“ vorweisen können, landen in Wohnheimen, arbeiten in Werkstätten für Behinderte. Dort verpacken sie Schrauben in Plastiktüten. Beschäftigungstherapie im negativsten Wortsinn. Dafür erhalten sie ein knappes Taschengeld. Bei CAP arbeitet jeder zum Tariflohn.

Dies ist möglich, weil der Landschaftsverband Rheinland die Lohnkosten der behinderten Mitarbeiter mit 30 Prozent bezuschusst. Das Geld kommt von den Firmen, die den gesetzlich vorgeschriebenen Belegschaftsanteil von Schwerbehinderten nicht vorweisen können und deshalb eine Ausgleichsabgabe zahlen müssen. Wolfgang Ullrich, Geschäftsführer von Horizonte, kann die Zurückhaltung der so genannten freien Wirtschaft bei der Anstellung psychisch behinderter Menschen nicht verstehen: „Am ersten Tag machte die Zulieferung Probleme. Manche Regale waren leer gefegt. Am zweiten Tag streikte die Telefonanlage. Am dritten Tag fiel die Tiefkühlung aus. Auf meine Mitarbeiter konnte ich mich aber immer verlassen.“