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heute in bremen„Es braucht keine Nebeleffekte“

Baumann/Uni Bremen

Eva Schöck-Quinterosist Historikerin, Lehrbeauftragte der Uni Bremen und Leiterin von „Aus den Akten auf die Bühne“.

Interview Marie Gogoll

taz: Frau Schöck-Quinteros, in welcher Stimmung werden die Menschen wohl die Szenische Lesung „Erziehen, erzwingen, erniedrigen“ verlassen?

Eva Schöck-Quinteros: Ich glaube, nachdenklich und ziemlich beklommen.

Thema ist das sogenannte Arbeitserziehungslager in Bremen-Farge. Was war das für ein Ort?

Eine Einrichtung der Geheimen Staatspolizei, in der die Inhaftierten zur Arbeit „erzogen“ werden sollten, wie es in der perversen Sprache der Nazis hieß. Sogenannte „Bummelanten und Arbeitsverweigerer“ wurden hierher gebracht. Es stand inmitten der Rüstungslandschaft in Bremen-Farge/Nord in Bremen-Nord, die Arbeiter aus den Betrieben wurden der Gestapo überstellt.

Wie schaffen Sie es, ein solches Thema ins Theater zu bringen?

Indem wir nüchtern die Sprachen der Menschen wiedergeben. Die szenische Lesung besteht aus historischen Quellen, die gekürzt aber in Originalsprache vorgetragen werden. Es braucht dafür kein großes Bühnenbild oder Nebeleffekte. Die Menschen sollen zuhören und durch das, was sie hören, ihre eigenen Bilder entwickeln. Dieses Format, „Aus den Akten auf die Bühne“, machen wir schon seit 2007.

Wie läuft das ab?

Ich recherchiere gemeinsam mit Studierenden ein bestimmtes historisches Thema. Wir wählen Quellen aus, Studierende schreiben Beiträge und transkribieren unendlich viele Dokumente. Peter Lüchinger von der Bremer Shakespeare Company wählt aus, bearbeitet und montiert die Quellen zu einer szenischen Lesung. Er führt außerdem Regie und ist Teil des Ensembles.

Und wie kamen Sie auf das Arbeitserziehungslager in Farge?

Die erste Publikation über Arbeitslager im dritten Reich gab es im Jahr 2003. Das zeigt, dass das Thema sehr lange völlig unbehandelt geblieben ist. Das war auch schon öfter Thema beim Gedenkort Bunker Valentin in Farge, der an das Lager erinnert. Wir fanden, dass die Geschichte dieses Lagers in Farge viel zu wenig bekannt ist. Einen wichtigen Impuls gab die Familie von Richard Lahmann, der selbst Häftling in Farge war.

Wie haben Sie die Informationen über das Lager zusammengetragen?

Szenische Lesung „ERZIEHEN, ERZWINGEN, ERNIEDRIGEN. Das ‚Arbeitserziehungslager‘ in Bremen-Farge“: 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz

Das war kein leichtes Unterfangen. Die Gestapo hatte ihre Akten in Bremen – wie in den meisten Städten – im März 1945 schnell vernichtet. Die meisten Informationen konnten wir aus dem Staatsarchiv Bremen, dem Archiv der Handelskammer und dem Bundesarchiv zusammentragen.

Was hat denn die Handelskammer damit zu tun?

Die war gemeinsam mit den Arbeitgebern, also meist den Rüstungsbetrieben, dem Arbeitsamt und der Gestapo ein wichtiger Akteur bei den Inhaftierungen. Das hat sie jedoch bis heute noch nicht aufgearbeitet.

Der Denkort Bunker Valentin wurde vor drei Jahren mit rechtsradikalen Parolen beschmiert ...

... Erinnerungsarbeit ist gerade aktuell sehr wichtig. Auch wenn ich daran denke, dass jüngst eine Journalistin im Deutschlandfunk das Wort Selektion im Zusammenhang mit dem Lager in Moria verwendet hat, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Wer das im Jahr 2020 tut und dabei nicht merkt, welche Sprache er da verwendet, hat noch einiges zu lernen. Es ist bedrohlich, welche Ausdrucksweisen seit 2015 mehr und mehr möglich geworden sind.

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