wortwechsel
: Moria! Flirtet Europa
mit dem Faschismus?

Die EU nimmt das Elend der Geflüchteten aus dem abgebrannten Lager Moria billigend
in Kauf. Nähert sich Europa mit der gnadenlosen Lagerpolitik faschistischen Methoden?

12. 9. 2020:Ein neues Zeltcamp entsteht auf einer Militär­basis zwischen Moria und Mytilini.Hier ziehen Geflüchtete aus dem am9. 9. 2020 vollständig ausgebrannten Lager Moria ein Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

„Deutschland ist nicht das Haupt-

problem“, taz vom 11. 9. 20

Geduld?!

Soll „Deutschland“ in Schutz genommen werden? Ich dachte, es geht um die menschliche Katastrophe von 12.000 Flüchtlingen auf Lesbos. Der Autor stellt fest: Die Aufnahme von 400 unbegleiteten Minderjährigen sei schließlich „besser als nichts“.

Und was ist mit den Kindern, deren Eltern hilflos auf der Straße liegen, viele ohne Decken, die um Wasser und Nahrung kämpfen müssen? Sie seien leider nicht „evakuierungsberechtigt“. Denn leider, leider ist schnelle Hilfe zwar dringend nötig – aber eben nicht möglich. Warum? Es gehe nur gesamteuropäisch. Das müssten auch die für eine sofortige Rettung Engagierten einsehen, von denen es in Deutschland „zum Glück“ (?!) ja viele gebe. Denn: Deutsche Soforthilfe würde „die anderen EU-Staaten aus ihrer Mitverantwortung entlassen“ – und die „rechten Populisten“ bekämen „weiter Auftrieb“. Die nicht humanitär Gesinnten „gilt es zu überzeugen“. Dazu bleibe einzig zu hoffen auf Merkels „bekanntesten Charakterzug: Geduld“. 80.000 Einwohner von Lesbos sollen weiterhin 12.000 Migranten beherbergen, aber 450 Millionen Einwohnern der EU kann man das nicht zumuten?

Wie beeinflusst man „Nichthumanitäre“? Dadurch, dass man ihnen nachgibt oder durch das praktische Beispiel gelebter Humanität, wie sie sich in Ländern und Kommunen zeigt, die Flüchtlinge aufnehmen wollen? Gerd Bock, Bremen

Wehe uns Europäern

Wehe uns Europäern, die wir auch dank der Gnade von Zeit und Raum unter recht friedlichen und gesunden Umständen unser Leben gestalten können und die wir trotz allem bereits das temporäre Tragen einer Maske für eine außerordentliche Zumutung halten; wehe uns, wenn wir mal selbst auf die gesicherte Wahrung der Menschenrechte angewiesen sind.

Ira Bartsch, Lichtenau-Herbram

Alle wissen davon

77 Jahre nach der NS Herrschaft gibt es in Europa wieder Lager, und diesmal wissen wirklich alle davon!

Friedemann Ungerer, Anklam

Zutiefst beschämend

Bewirbt sich Lukas Wallraff mit seinem Leitkommentar als Sprecher beim Innenministerium – wenn er angesichts dieses dramatischen, mörderischen Elends in Moria weiter darauf beharrt, auf eine europäische Lösung zu setzen? Meine Erfahrung sagt mir, dass mit dieser Argumentation die Menschen zynisch geopfert werden. Selbst Norbert Röttgen (CDU) schreibt: „Es geht jetzt nicht vorrangig darum, eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik zu gestalten, sondern offensichtliche menschliche Not zu lindern.“ So eine menschenfeindliche Argumentation auf der Titelseite der taz finde ich zutiefst beschämend.

Brigitte Lattwesen, Hamburg

Die Verhandlungslogik

Die Logik, dass die Aufnahme von Flüchtlingen die deutsche Verhandlungsposition schwächen würde, erschließt sich mir nicht. Wenn bei anderen keine Aufnahmebereitschaft vorhanden ist, gibt es nichts zu verhandeln, und folglich wird die eigene Position weder gestärkt noch geschwächt. Wenn jedoch bei anderen grundsätzlich eine Bereitschaft zur Hilfe vorhanden ist, würde ein Vorangehen Deutschlands seine Verhandlungsposition eher stärken. So gut wie jedes Argument für die Weigerung, nennenswert Hilfe zu leisten, ist an den Haaren herbeigezogen und eine moralische Bankrotterklärung. Jens Böhling, Hitzacker

Ein Zivilisationsbruch

Die taz sieht in dem vorliegenden Zivilisationsbruch vorrangig das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik. Es ist weit mehr als das. Es ist ein Rückfall in vorzivilisierte Zeit – Atavismus (von atavus, der Urahn) –, in der es damals Hoffnung auf christliche, dann humanitäre Regungen noch nicht gab. Noch vor Hellas, also vor 3.000 Jahren, haben unsere Urahnen, auf dem Weg zur Zivilisation, das Gastrecht etabliert. Wollen wir uns davon lossagen? Was macht dieser Bruch mit uns, den Befürwortern und den Gegnern der Aufnahme Flüchtender?

Klaus Warzecha, Wiesbaden

Friedensnobelpreis?

Es ist beschämend, die Bestürzung der Politiker in Bezug auf den Brand in Moria zu hören, nachdem sie jahrelang Tausende von Toten billigend in Kauf genommen haben. Wer soll das noch glauben? Friedensnobelpreis für die EU? Ich war einmal stolz darauf, jetzt sollten wir ihn weinend begraben. Eva Sarrazin, Bonn

Kreuzfahrtschiff-Camps!

Warum kann man nicht ein Kreuzfahrtschiff nach Moria bringen, auf dem Tausende Menschen unter würdigen Bedingungen untergebracht werden können bis es eine andere, vielleicht bessere Lösung gibt? Zurzeit müssten die Ungetüme doch ungenutzt herumstehen. Und endlich gäbe es einen sinnvollen Einsatzzweck für diese Energiefresser und Luftverpester. Klaus Brenninger, Mühldorf

Alternative? Jetzt helfen!

Wir appellieren an alle Menschen guten Willens, ein sofortiges Zeichen christlicher Nächstenliebe und Solidarität mit den obdachlosen Kindern, Frauen und Männern auf Lesbos zu senden. Mit Unterstützung vieler ehrenamtlicher Menschen aus Bassum konnten 2014/15 viele Geflüchtete hier ankommen und durchatmen. Durch die tatkräftige Unterstützung der Stadt Bassum und der ehrenamtlichen HelferInnen wären wir in der Lage, sowohl Kinder als auch Erwachsene hier aufzunehmen. Das Warten auf eine „europäische Lösung“ verlängert das Leiden der Menschen auf den Straßen von Lesbos und bedrückt unsere Herzen. Es gibt keine Alternative, als jetzt zu helfen.

Johann Herholz, Uli Tatje, Bassum