Der Jemen will ein Vorbild werden

Präsident Saleh kündigt überraschend an, bei den Wahlen 2006 nicht mehr kandidieren zu wollen, um das Land zu demokratisieren. Nachfolger sind jedoch noch nicht in Sicht

SANAA taz ■ Staatschef Ali Abdallah Saleh ist im Jemen allgegenwärtig: Sein Bild hängt in allen Amts- und Teestuben, jede Nachrichtensendung beginnt mit den neusten Verlautbarungen von „seiner Exzellenz Bruder Präsident“. Die meisten Jemeniten kennen nur ihn als Präsidenten. Bei der Feier zum 27. Amtsjubiläum vergangene Woche dann die Überraschung: Er werde bei der Präsidentschaftswahl im September nächsten Jahres nicht mehr antreten, verkündete der 63-Jährige vor 1.200 erstaunten Gästen. Der Jemen wolle „Vorbild“ sein und der Welt zeigen, dass er ein demokratisches Land sei, in dem ein friedlicher Machtwechsel möglich ist.

Lässt der Präsident seinen hehren Worten wirklich Taten folgen, dann ist ihm die Aufmerksamkeit in der arabischen Welt und darüber hinaus sicher. Ausgerechnet das ärmste Land auf der Halbinsel, die Heimat der Familie Bin Laden, das Rückzugsgebiet von al-Qaida, will mehr Demokratie wagen als die meisten islamischen Bruderstaaten?

Die Nahostzeitung The Daily Star schreibt von einer „historischen Geste“ des Präsidenten, an dem sich andere arabische Führer künftig messen lassen müssten. Denn es gehört nun mal nicht zu den Gepflogenheiten in diesem Teil der Welt, freiwillig die Macht abzugeben. Salehs Vorgänger wurden meist entweder aus dem Amt gejagt oder ermordet. So lange wie er konnte sich in dem immer noch von Stämmen dominierten Land keiner an der Macht halten.

Saleh schaffte es, einst verfeindete Clans in die Regierung einzubinden, ihm gelang die Wiedervereinigung mit dem sozialistischen Süden, er überstand den darauf folgenden Bürgerkrieg, die Wirtschaftskrise nach der Ausweisung der jemenitischen Arbeitsmigranten aus Saudi-Arabien und selbst die Terroranschläge im Golf von Aden. Die 96 Prozent, die er bei den Wahlen von 1999 erzielte, sind allerdings kein Ausweis von Demokratie; ein ernst zu nehmender Gegenkandidat fehlte damals. Allen Vorwürfen von Wahlbetrug, Menschenrechtsverletzungen und Korruption zum Trotz heimst Saleh international Lob für seine Reformbemühungen ein. Gerhard Schröder hatte Jemen in seine Route durch die Golfregion im März aufgenommen, um den Demokratieversuchen Respekt zu zollen.

Dennoch ist Skepsis natürliche Reaktion in der arabischen Welt, wo Beteuerungen zu mehr Demokratie allzu oft Lippenbekenntnisse bleiben. Bei seinen Getreuen löste Salehs Rückzugsankündigung wie bestellt Proteste aus: „Das werden wir niemals zulassen“, berichtete der regierungsnahe Yemen Observer von den empörten Reaktionen auf die Präsidentenrede. Der Staatschef wolle lediglich den Weg für seinen Sohn frei machen, mutmaßen Kritiker. Oder er habe sich schlicht aus der Schusslinie der landesweiten Proteste gegen die drastische Benzinpreiserhöhung bringen wollen. Als vergangene Woche auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds (IWF) die staatlichen Subventionen für Treibstoff und Gas gestrichen wurden, entlud sich die Wut in blutigen Straßenschlachten mit dutzenden Toten.

Selbst wenn Saleh tatsächlich mehr an der Zukunft seines Landes als an der eigenen Macht liegt, dürfte der Übergang schwierig werden. „Ich rufe alle politischen Parteien und Organisationen auf, junge und fähige Kandidaten zu suchen“, bekräftigte der Präsident seine Absicht. Doch derzeit gibt es weder in der Regierungspartei noch der Opposition herausragende Figuren, die in seine Fußstapfen treten könnten. Ein von Saleh ausgeklügeltes System der Machtverteilung zwischen den Stämmen hält das Land zusammen. Selbst Kritiker fürchten, ohne ihn an der Spitze könnte der Jemen in Stammesgebiete zerfallen. „Wir sind noch nicht so weit“, räumen Oppositionelle freimütig ein.

Dennoch sieht Ali Saif Hassan, Begründer eines parteiübergreifenden Politikforums, in der Ankündigung des Präsidenten eine Chance: Wenn in den 14 Monaten bis zur Wahl zum ersten Mal ernsthaft öffentlich über Alternativen zu dem langjährigen Regenten diskutiert werde, sich Kandidaten fänden, die mutig Kritik an der bisherigen Regierungspolitik übten, dann sei für die Demokratisierung schon viel gewonnen. Selbst wenn am Ende doch wieder Saleh weitermacht.

SUSANNE SPORRER
KLAUS HEYMACH