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american pieUnklare Fronten

Die National Football League startet mit vielen Unsicherheiten in die Saison. Zu erwarten sind Corona-Ausfälle und zudem politische Proteste

Sagenhafte 503 Millionen US-Dollar könnte Patrick Ma­homes in den kommenden zehn Jahren verdienen. Vergleichsweise bescheidene 153 Millionen soll Deshaun Watson für die nächsten vier Spielzeiten der NFL bekommen. Die Football-Liga setzt darauf, dass Mahomes, der nächste Woche seinen 25. Geburtstag feiert, und der ein halbes Jahr jüngere Watson auf lange Sicht die Aushängeschilder des umsatzstärksten Sport-Entertainment-Betriebs der Welt sind – und eröffnet das neue Show-Programm mit einem Aufeinandertreffen der beiden Jungstars: Zum Auftakt der NFL-Saison trifft am Donnerstag der amtierende Super-Bowl-Sieger, die Kansas City Chiefs mit ihrem Quarterback Mahomes, auf die Houston Texans, bei denen Watson die Bälle verteilt.

Da dürften exorbitante Einschaltquoten garantiert sein. Schon weil der amerikanische Fan lange auf seine Lieblingssportart verzichten musste. Wegen Corona startete der College Football mit mehrwöchiger Verspätung und zudem einem sehr reduzierten Programm – einzelne Universitäts-Ligen verzichten sogar völlig auf einen Spielbetrieb.

Auch die NFL ist spät dran. Die Vorbereitungsspiele sind wegen der in den USA immer noch wütenden Pandemie ausgefallen. Überhaupt wird die Saison anders aussehen als geplant: Der Spielplan ist entzerrt, der Termin der Super Bowl kann notfalls verschoben werden, um Spiele nachholen zu können, falls das Virus bei einer Mannschaft ausbricht. Dafür qualifizieren sich 14 statt bislang nur 12 Teams für die Playoffs.

Auf eine Bubble-Lösung, wie sie NBA, WNBA oder NHL praktizieren, hat die NFL aus nachvollziehbaren Gründen verzichtet. Die Spieler, Trainer und Betreuer aller 32 Klubs an einem Ort zusammenzuziehen, wäre kaum möglich, weil gut 150 Menschen zu einem Team gehören. Deshalb finden die Spiele in den Stadien der Klubs statt, wenn auch meist vor leeren Rängen. Einzelne Bundesstaaten erlauben allerdings bereits Zuschauer. So dürfen die Miami Dolphins 20 Prozent der Plätze im Hard Rock Stadium verkaufen. Dass der Kontaktsport Football nicht zum Superspreader-Event wird, will man mit umfangreichen Tests vermeiden: Allein während der Trainingslager im August wurden 8.739 Spieler insgesamt 58.621 Mal auf den Virus getestet, um sicherzustellen, dass keine infizierten Profis auflaufen. Um das Risiko weiter zu minimieren, fallen auch die werbewirksamen Auslandsspiele aus, die in diesem Jahr in London und Mexiko City geplant waren.

Dass die Saison unfallfrei verläuft, ist trotzdem kaum zu erwarten, wie das Beispiel MLB zeigt: Ob die Baseball-Saison rechtzeitig vor dem Wintereinbruch beendet werden kann, ist durchaus fraglich, weil einzelne Mannschaften, die sich das Virus eingefangen haben, kaum noch hinterherkommen, ausgefallene Spiele nachzuholen.

Und Covid-19 ist nicht mal das einzige Problem, mit dem sich die NFL herumschlägt. Die vielleicht sogar größere Frage: Wie geht die Liga mit den sozialen Protesten im Land um? Selbst die Saison der traditionell viel liberaleren NBA, in der sich Klubbesitzer und Trainer ausnahmslos hinter die Black-Lives-Matter-Proteste ihrer Profis gestellt haben, stand kurz vor dem Abbruch, als die Spieler zwei Tage lang den Spielbetrieb bestreikten.

In der NFL dagegen sind die Fronten nicht so klar: Colin Kaepernick, der vor vier Jahren als Erster den Protest auf die Spielfelder trug und als Quarterback der San Francisco 49ers während der Nationalhymne vor einer Partie niederkniete, ist immer noch arbeitslos. Ein Star wie Tom Brady, der nach zwei Jahrzehnten in New England nun mit dem Tampa Bay Bucca­neers seine siebte Super Bowl im Alter von 43 Jahren gewinnen will, ist gut mit Donald Trump befreundet. Und Milliardär Jerry Jones, der in der NFL sehr mächtige Eigentümer der Dallas Cowboys, ließ verlauten, er würde nur tolerieren, dass seine Angestellten vor – nicht während – der Hymne aus Protest auf die Knie gehen.

Zwar hat NFL-Boss Roger Goodell mittlerweile zugegeben, dass es ein Fehler war, die Spielerproteste zu unterdrücken. Wie ernst gemeint das ist, wird sich herausstellen, wenn Stars wie Patrick Mahomes und Deshaun Watson mehr fordern als bloße Lippenbekenntnisse – und vielleicht sogar einen Streik anzetteln. Thomas Winkler

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